Niemand ist eine Insel (German Edition)
nickte.
»Gehen wir da rüber«, sagte Bracken und winkte einem Barkeeper.
Wir gingen an einen entlegenen Tisch der noch fast leeren Bar. Der Keeper brachte die Gläser und Lejeunes Sandwiches.
»Also«, sagte ich.
»Es tut mir leid«, sagte Dr. Lévy. »Es tut mir unendlich leid, Monsieur Kaven. Madame ist … sehr krank.«
»Was?«
»Nicht physisch. Nicht so, daß ich sie behandeln könnte. Psychisch. Psychisch krank. Wenn sie diesen Film vollenden soll – man kann nur hoffen, daß sie dazu in der Lage ist –, wenn verhindert werden soll, daß sie seelisch noch kränker wird, dann muß sie sofort unter die ständige Kontrolle eines Psychiaters.«
»Stationär?« Bracken wurde weiß im Gesicht.
»Nicht stationär. Noch nicht. Hoffentlich noch nicht. Ich kann das nicht beurteilen. Sie müssen sofort einen Psychiater für Madame besorgen, der ständig um sie ist. Ich kenne hervorragende französische Kollegen und …«
»Nein«, sagte Bracken.
»Was nein?«
»Wenn das so ist, muß Joe es doch erfahren«, sagte Bracken. »Heiliger Moses, wird das ein Theater. Bleibt hier. Ich rufe sofort an. Phil, geh rauf zu Sylvia.«
»Muß ich …«
»Natürlich mußt du«, schrie er.
»Okay«, sagte ich. »Okay. Okay. Okay.«
15
S ie saß in dem mit Teppichen ausgelegten, antik eingerichteten Salon ihres (unseres) Appartements. 308. Sie trug einen ganz kurzen, ganz dünnen grünen Morgenmantel und nur ein Höschen darunter, sah ich. Sie war völlig ungeschminkt. Ihr Haar hing wirr herab. Die Hände zitterten. Sie kam mir so klein vor, besonders ihr Gesicht.
»Hallo, Phil«, sagte Sylvia, und als ich sie auf die Stirn küssen wollte: »Nein. Bitte nicht. Sei nicht böse. Aber rühr mich nicht an.«
»Schon gut«, sagte ich. »Es ist ja alles gut, Hexlein.«
Sie starrte an mir vorbei, zu einem Bild an der Wand – es zeigte ein wildes Pferd, das, so schien es, direkt auf den Betrachter zugaloppierte.
Schweigen.
»Ich habe die Muster gesehen«, sagte ich zuletzt, als ich das Schweigen nicht mehr ertrug. »Hexlein, du bist wunderbar!«
Keine Antwort.
Ihr Blick glitt über die anderen Bilder an den Wänden, die rotweißen Seidentapeten, den Marmorkamin, den eingebauten Fernsehapparat und den eingebauten Plattenspieler, hin zu einem Sekretär beim Fenster, auf dem Briefe, Papiere, das Drehbuch lagen, zurück über silberne Leuchter, einen Tisch, auf dem, mir stockte der Atem, ein Haufen ihres Schmucks lag (es gab einen Safe im Zimmer, warum war der Schmuck nicht in ihm?), an Stehlampen mit Glockenschirmen vorbei, zu mir zurück. Sie sagte, und da war kein Klang in ihrer Stimme: »Du weißt …«
»Ich weiß alles. Darum bin ich hier. Hab keine Angst. Der Beleuchter sitzt schon. Es kann gar nichts passieren.«
»Aber du … Phil …« Sie sagte nur Phil an diesem Abend, nicht ein einziges Mal Wölfchen. »… aber du … du liebst mich … und ich … ich habe …«
»Du hast zuviel erlebt. Du hast zuviel gelitten. Dazu die Arbeit. Ich verstehe alles. Auch daß du mich nicht als Mann haben kannst im Moment. Weil du und ich … weil wir beide doch Babs haben … Ich verstehe das … ein anderer Mann … und? Was bedeutet das schon, wenn ich dich liebe?« Das alles sagte ich, mein Herr Richter, und es war wahr, und es war Lüge, beides, in diesem Moment jedenfalls. Denn (nicht anders als Ruth) konnte ich mich jetzt, Sylvia von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehend, der Tragik, die diese Frau umgab, nicht entziehen. Auch hier arbeitete die Aircondition. Ich schwitzte trotzdem, aber ich glaube vor Schwäche. Das war zuviel. Das war einfach alles zuviel für mich. Ja, dachte ich, aber für Sylvia auch!
»Du sollst mich nicht lieben«, sagte sie.
»Was?«
»Du sollst mich nicht lieben. Niemand soll mich lieben. Nur Babs soll gesund werden. Bitte, Gott.«
»Sie wird doch gesund, Hexlein, ich sage dir doch täglich, daß es ihr besser geht!«
»Und täglich lügst du«, sagte sie.
»Nein!«
»Sei still. Ich weiß es. Ich habe hier mit Ärzten gesprochen. Sie haben mir gesagt, wie so etwas verläuft. Bestenfalls.«
»Na also!«
»Ja, Phil. Na also. Keinesfalls so, wie du mir vormachst. Sie wird nie mehr gesund werden, meine Babs. Nie mehr.«
»Sie wird …«
»Sei ruhig. Bitte, bitte sei ruhig, Phil! Und es hat keinen Sinn, daß ich Gott bitte. Gott hat mich verflucht. Zu Recht. Es ist aus mit Babs, Phil. Und es ist aus mit mir.«
»Mit dir? Das wird der größte Erfolg aller Zeiten,
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