Niemand ist eine Insel (German Edition)
habe. Was ich tue, ist nicht selbstlos: Ich kann meine Lage nicht mehr ertragen. Eine Bitte: Egal, was mit Sylvia und Dir geschieht – niemals, solange Du lebst, laß Babs im Stich. Sie braucht Dich. Sie kann ohne Dich nicht sein. Das liest sich wie der letzte Wunsch in einem Testament. Er ist es auch. Ich werde Dich immer lieben, Phil, hier und drüben, wenn es ein Drüben gibt. Drüben noch mehr. Sei mir nicht böse, sei mir dankbar. Deine Clarissa.‹« Ich ließ den Bogen sinken und starrte die Mattscheibe des Fernsehers an, über die noch immer geräuschlos DIE BESTEN JAHRE UNSERES LEBENS flimmerte. »Was heißt das, Lucien? Hat sie sich umgebracht?«
»Vielleicht.«
»Aber warum dann das Theater? Warum hat sie nicht hier im Hotel oder in Paris Schluß gemacht?«
»Weil sie Sie liebt, das schreibt sie doch. Sie wollte Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten.«
»Vielleicht lebt sie aber auch noch!«
»Ja, vielleicht.«
»Irgendwo in der Welt.«
»Durchaus möglich, Monsieur Kaven. Ich bin so verstört wie Sie. Was machen wir jetzt?«
»Telefonieren«, sagte ich.
Ich ging in eine der Münzsprechzellen in der leeren Halle und rief Lejeune an. Er hatte schon geschlafen und war wütend.
»Was ist nun schon wieder passiert?«
Ich sagte ihm, was nun schon wieder passiert war. Lejeune wurde hellwach. Er ließ sich bis ins kleinste Detail berichten, was Clarissa, seit sie bei uns war, getrieben hatte, wann sie mir gesagt hatte, daß sie mich liebe, alles.
»Wenn das jemand erfährt, gibt es einen Riesenskandal!« sagte ich.
»Erfährt schon niemand«, sagte er. »Nur die Polizei. Die muß es erfahren. Sie schicken morgen früh diesen Nachtportier mit dem Brief zu mir. Sind schon genug Fingerabdrücke auf dem Umschlag. Wickeln Sie ihn in Zellophan.«
»Was wollen Sie damit tun?«
»Ihn der Polizei übergeben. Mit allen Informationen, die wir haben. Sie wissen – die Polizei ist in solchen Fällen diskret. Sie brauchen nichts zu befürchten. Aber wir müssen das der Polizei melden, sonst machen wir uns strafbar. Ich erledige alles für Sie.
Sie müssen morgen wieder in Heroldsheid sein. Ich habe Freunde am Quai des Orfèvres. Die richtigen. Diese Mademoiselle Geiringer wird von morgen an gesucht – nicht nur in Frankreich. In der ganzen Welt. Was, wenn der Brief unter Zwang geschrieben wurde, und sie ist entführt worden, und wir bekommen demnächst die Forderungen der Entführer?«
Ich sagte nichts.
»Sie sagen nichts. Sie haben kapiert?«
»Die Welt ist groß«, sagte ich.
»Viel kleiner, als Sie glauben.«
»Es gibt so viele Arten zu verschwinden und sich das Leben zu nehmen.«
»Weniger, als Sie vermuten. Was ist – genügt Ihnen die Polizei der ganzen Welt nicht?«
Ich schwieg.
»Genügt also nicht. Was wollen Sie noch?«
»Ich will wissen, was aus Clarissa geworden ist!«
»Schreien Sie mich nicht an, Sie Wahnsinniger! Wenn Ihnen die offiziellen Fahndungen nicht genügen, setzen Sie noch eine private Detektei an die Sache. Muß aber eine internationale sein. Ich gebe zu, daß bei den vielen Menschen, die auf der Welt jeden Tag wie Mademoiselle Geiringer verschwinden, die polizeilichen Fahndungen ausgerechnet nach ihr nicht geradezu fieberhaft betrieben werden können – es gibt da noch ein paar hunderttausend andere Fälle.«
»Eben.«
»Sie wollen also eine private Detektei dazu einschalten?«
»Ja.«
»Sagen Sie: Haben Sie Mademoiselle Geiringer geliebt?«
»Nein. Das … das ist etwas anderes …«
»Was anderes?«
»Sie werden es nicht kapieren.«
»Vielleicht doch. Also was?«
»Schuld«, sagte ich. »Ich weiß nicht, wieso. Aber ich habe ein sehr großes Schuldgefühl dieser jungen Frau gegenüber.«
»Wer sagt, daß ich das nicht verstehe? Lejeune versteht alles. Ich kenne internationale Agenturen. Wenn Sie wollen, suche ich Ihnen die beste heraus und erledige alles für Sie. Wollen Sie das?«
»Ja.«
»Die beste ist natürlich die teuerste. So etwas ist immer teuer, Monsieur Kaven. Sehr teuer. Sie bekommen von Bracken in Sylvias Auftrag Geld für die Flüge und die Telefonate und die Hotels und noch etwas dazu. Und Ihre Gage als Produktionschef. Und Ihr Gehalt in Heroldsheid. Können Sie die sehr teure Detektei wirklich bezahlen?«
»Das lassen Sie meine Sorge sein. Ich gebe Ihnen das Geld.«
»Woher kommt es?«
Ich sagte: »Ich habe noch etwas. Ich kann es verkaufen. Es gehört mir. Machen Sie sich keine Sorgen.«
» Ich mache mir keine«, sagte Lejeune.
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