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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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wir alle nicht recht gewußt, was wir mit Clarissa nun anfangen sollten. Babs brauchte sie jetzt nicht und würde sie noch lange nicht brauchen. Doch Lejeune hatte gewarnt, Clarissa allzufrüh zu entlassen. Da wären Gerüchte möglich gewesen. So war also Clarissa bei uns geblieben – in Paris, eine Weile versteckt (sie brachte ja angeblich Babs mit mir in das amerikanische Internat), in Rom, bei der Premiere von SO WENIG ZEIT hatten wir sie nicht brauchen können, also dann gleich nach Madrid mit ihr, und danach war sie als Privatsekretärin von Sylvia und Bracken zwischen Madrid und Paris hin und her gependelt, und hatte in Madrid im CASTELLANA HILTON und in Paris im LE MONDE gewohnt, und der Rat des weisen Lejeune war gut gewesen, es kümmerte sich wirklich niemand um Clarissa. Hingegen kümmerte Clarissa sich sozusagen um alles. Um alles, was mit Babs zusammenhing. Sie war durch Sylvia oder Bracken nach meinen ständigen Telefonanrufen und Besuchen in Madrid vollkommen informiert. Vollkommen falsch informiert, denn ich berichtete Sylvia ja nicht die Wahrheit über Babs. Bei Bracken war das anders. Aber der sagte Clarissa denselben Käse wie Sylvia und ich. Das Unglück mit Clarissa war, daß sie zu intelligent war, das zu glauben, was sie hörte. Sie wurde immer unglücklicher, sie wußte, sie wurde belogen. Sie machte alle in Madrid verrückt mit ihrem Unken, ihrer ständigen Bohrerei. Zuletzt, vor etwa einem Monat, hatte Bracken sie nach Paris geschickt – bis auf weiteres. Ich hatte einmal in Paris angerufen und Clarissa erzählt, wie gut es Babs schon wieder ging, und sie hatte gesagt: »Schön.«
    Auf meinen beiden letzten Flügen nach Madrid hatte ich sie, als ich mich im LE MONDE in Philip Kaven verwandelte, nicht gesehen und war mehr als glücklich darüber gewesen. Ich hatte mich auch gehütet, im Hotel irgend jemanden zu fragen, wo sie gerade war. Clarissa fehlte mir gerade noch.
    Und nun las ich den Brief in ihrer gleichmäßigen, schönen Handschrift, geschrieben auf Papier des LE MONDE:
    ›Mein Geliebter!
    Wenn Du diese Zeilen liest, bin ich schon lange nicht mehr zu erreichen – für Dich nicht und für keinen anderen Menschen auf dieser Welt …‹
    Ich sah nach dem Datum.
    11. August 1972.
    »Der Brief ist mehr als zwei Wochen alt!« sagte ich zu Lucien.
    Er nickte.
    »Aber abgegeben wurde er erst gestern, Monsieur Kaven. Mademoiselle Geiringer ist schon am neunten August bei uns ausgezogen.«
    »Wann?«
    »Am neunten August.«
    »Und das sagen Sie mir erst jetzt?«
    Lucien erschrak.
    »Haben Sie das denn nicht gewußt?«
    »Nein! Ich habe natürlich gedacht, Mademoiselle Geiringer wohnt immer noch hier!«
    »Das verstehe ich nicht … Als sie auszog, sagte sie meinen Kollegen, sie sei von Ihnen auf eine Reise geschickt worden!«
    »Von mir?«
    »Ja, und sie werde wohl nicht zurückkommen. Natürlich glaubten ihr das die Portiers. Warum sollten sie es nicht glauben?«
    »Ja, warum nicht. Hat sie gesagt, wohin die Reise geht?«
    »Sie hat überhaupt nichts gesagt, Monsieur. Um Gottes willen, was ist jetzt wieder …«
    »Keine Ahnung.« Ich las laut weiter: »›Ich habe niemals geglaubt, daß es Babs besser geht. Ich weiß zuviel über diese Krankheit. Ich habe immer gewußt, daß ich nun überflüssig bin – und immer bleiben werde. Ich habe zu Dir gehalten und alles für Dich getan, was Du verlangt hast, solange Du mich brauchtest. Das weißt Du. Und es ist mir nun, da ich dies schreibe, alles egal: Ich habe es getan, und ich hätte es immer weiter getan, weil ich Dich liebe. Aber ich kann nichts mehr für Dich tun. Ich kann nichts mehr für die arme Babs tun, ich weiß, im Grunde stellt meine Existenz für Dich und euch alle nur ein immer größeres Problem dar. Aus Liebe – Liebe zu Dir, Phil! – erlöse ich euch jetzt von diesem Problem. Wenn Du diesen Brief liest – er wird mit Verspätung in Deine Hände gelangen –, gibt es mich nicht mehr …‹«
    Ich brach ab.
    »Merde alors«, sagte Lucien, dem ich alles erzählt hatte, was es bei Babs gab, was in Madrid los war – die reine Wahrheit. Lucien war mein Freund. Ich vertraute ihm unbedingt. Ich mußte einen Menschen haben, dem ich meine Sorgen erzählen konnte.
    »›… gibt es mich nicht mehr‹«, las ich laut. »›Du kannst mich von allen Polizisten der Welt suchen lassen. Sie werden mich nicht finden. Weil es mich eben nicht mehr gibt. Ich hoffe, daß ich Dir dadurch Deine schlimme Lage etwas erleichtert

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