Niemand ist eine Insel (German Edition)
Schreibens.)
»Babs! Das ist ja wunderbar! Das ist ganz großartig! Du kannst ja prima schreiben!«
»-ima schreiben, ja?«
»Ja!« Ich hob sie hoch und sie küßte meine Wange.
20
T agebuch …
Die ganze nächste Woche arbeitete ich von morgens bis abends. Nach Schulschluß arbeitete ich in dem kleinen Haus weiter. Es war so vieles zu erledigen. Schreibkram vor allem. Behördenkram. Streit mit Bürgermeistern, äußerst korrekten Steuerbeamten, äußerst korrekten Staatsbeamten. Sie taten alle nur ihre Pflicht, das mußte ich doch endlich einsehen – oder unterstellte ich ihnen niedrige Beweggründe?
Um Gottes willen, nicht doch! Ich bitte um Vergebung. Ich sehe alles ein. Meine Verehrung, Herr Doktor, beste Grüße an die Frau Gemahlin, Herr Oberregierungsrat …
In diesen Tagen erhielt eine Gruppe von Kindern, darunter Babs, besonders intensiv Schreibunterricht. Der hatte, vor langer Zeit, damit begonnen, daß die Kinder einen an die Tafel geschriebenen Buchstaben mit dem Finger nachfuhren, daß sie den Klang kennenlernten, den dieser Buchstabe hatte, wenn man ihn aussprach, und seine Bedeutung in einem Wort, das ein Gegenstand war, den man natürlich zuerst kennen und von dem man zuerst wissen mußte, daß dieser Gegenstand mit diesem Wort bezeichnet wurde … Nach endlos wiederholten verschiedenen Lehrmethoden war diese kleine Gruppe von Kindern nun so weit, daß sie ›schreiben‹ konnte – den eigenen Namen, eine Adresse, vielleicht noch zwei Dutzend andere Wörter.
Abends rief ich täglich in Madrid an und erzählte weiter meine Lügen. Sylvia war, so schien es, in einem wirklich gebesserten Zustand, optimistischer und aktiver – und sie führte das auf die Wunderbehandlung durch Joes Freund zurück, den Hollywood-Psychiater Dr. Lester Collins.
»Weißt du, Wölfchen, der Mann gibt mir so viel Mut, so viel Kraft. Ich bin so ruhig, so zuversichtlich, ohne Spannung, ohne Unruhe, ohne – du weißt …«
»Was macht dieser Psychiater eigentlich mit dir?«
»Oh, er ist Psychoanalytiker, nicht Psychiater. Also wir reden. Das heißt: Ich rede, er hört zu.«
»Worüber?«
»Was mir so einfällt … ganz frei … assoziativ …«
»Aha …«
»Er ist immer draußen bei den Aufnahmen, weil ich mich sicherer fühle durch seine Anwesenheit. Und dann gibt er mir abends immer diese Injektion.«
»Was für eine Injektion?«
»Paronthil.«
»Was ist das?«
»Ein Wundermittel! Es erzeugt eine Art Kurznarkose, weißt du. Und während dieser Kurznarkose spricht Lester mit mir …«
»Wer?«
»Doktor Collins. Ich soll ihn Lester nennen, hat er gesagt. Er nennt mich Sylvia. Das ist gut für das Vertrauensverhältnis.«
»Und was spricht er dann mit dir?«
»Wölfchen, du bist doch so gebildet! Du weißt doch, daß ich als Lesters Patientin niemandem sagen darf, worüber wir sprechen – nicht einmal dir. Sonst wirkt die ganze Narko-Analyse nicht.«
»Natürlich.«
»Ich bin dann, wenn ich erwache, immer glücklich, ich fühle mich leicht, ich kann endlich wieder schlafen! Weißt du, daß ich jetzt durchschlafe – ich werde zum Glück, telefonisch geweckt! Lester ist wunderbar, Wölfchen! Wenn du das nächste Mal herunterkommst, will er auch mit dir sprechen! Ihr werdet euch blendend verstehen!«
»Sicherlich, Hexlein.«
»Und wie ist das mit meinem Besuch? Einmal – ich weiß noch nicht, wann – habe ich hier zwei Tage drehfrei. Dann werde ich kommen. Ich sage dir noch rechtzeitig Bescheid. Dann sehe ich endlich meinen Liebling wieder.«
»Ja, Hexlein.«
»Gib ihr einen ganz dicken Kuß von ihrer Mami, ja?«
»Ja.«
»Und für dich auch einen – da!« Geräusch im Hörer. »Ich liebe dich so, mein Wölfchen, ich könnte nicht einen Tag mehr existieren, wenn es dich nicht gäbe.«
»Auch ich nicht, mein Hexlein, auch ich nicht. Gute Nacht.«
»Good night, sweetheart, good night.«
21
I n allem hat der Hitler wirklich nicht unrecht gehabt – so was wäre bei dem gleich vergast worden!«
»Da haben S’ wirklich recht! Unser Paul, der hat’s Abitur … Abrackern hab ich mich müssen, daß ich ihn hab aufs Gymnasium schicken können, wo doch mein Mann tot ist – und jetzt hat er’s Abitur und muß warten darauf, daß ein Platz frei wird an der Universität. Numerus … Sie wissen schon! Die haben keinen Platz für meinen Paul … Nichts wie Jammer … Was ich schon geweint hab … Jahr um Jahr vergeht … Zur Bundeswehr hat er zuerst müssen … Und jetzt
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