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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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zurück, preßte die Fingerspitzen gegeneinander und dozierte voll Würde: »Die Übertragung war gegenseitig zu groß. Zu enge Beziehung. Zu große Verbindung. Das kommt vor. Sehen Sie, ich habe eine äußerst starke Persönlichkeitsstruktur. Das ist nicht mein Verdienst. Durch jahrelange Behandlung von so außergewöhnlichen Menschen, wie Schauspieler und gerade Schauspieler es sind – nur die ganz großen natürlich –, war ich beständig der Wirkung von außergewöhnlich starken Persönlichkeitsstrukturen ausgesetzt. Das strahlte auf mich zurück, ließ meine eigene Persönlichkeit immer stärker werden. In manchen Fällen nun – Joe weiß es – war der Kontakt, die Übertragung zwischen Patienten und mir, derartig überstark, daß es zu Ereignissen wie denen mit Sylvia kam. Klar?«
    »Nein«, sagte Bracken.
    »Absolut klar«, sagte ich und unterdrückte die Frage, ob Lester solche starken Übertragungen mit solchen Resultaten auch schon bei der Behandlung von männlichen Stars untergekommen waren.
    »Dann werde ich jetzt gehen und packen«, sagte Collins. Er erhob sich. »Wer bekommt meine Rechnung?«
    »Wir hier. SYRAN-PRODUCTIONS«, sagte ich.
    Collins blickte uns beide an wie den letzten Dreck und verschwand ohne ein weiteres Wort.
    Zum ersten Mal im Leben sah ich einen sprachlosen Bracken. Ich frühstückte schon lange weiter, als er endlich sagte: »Der Strolch hat uns nicht mal die Hand gegeben.«
    »Warum hätte er das tun sollen? Ein Genie. Wir sind doch nur Kretins für den. Du hast nicht mal seine Erklärung kapiert.«
    »Du doch auch nicht! Das ist doch alles Gewäsch gewesen von dem Sauhund. Und wenn Sylvia jetzt doch wieder loslegt?«
    »Sie legt nicht mehr los.«
    »Sagt wer?«
    »Doktor Collins«, sagte ich. »Ein Heiliger.«
    »Gott segne uns«, sagte Bracken. »Dich läßt sie nicht drüber, aber ihn hat sie sich vorgenommen. Boy, o boy. Und dafür reicht er uns noch eine Rechnung ein.«
    »Und eine dicke, darauf kannst du dich verlassen«, sagte ich. (Als ich dann hörte, wie hoch die Rechnung war, mußte allerdings sogar ich mich schnell hinsetzen. Eben ein Heiliger, Dr. Lester Collins.)
    »Nun mach schon mit deinem Frühstück!« sagte Bracken.
    »Warum die Hast?«
    »Sylvia wartet. Es steht jetzt offen, wann sie die zwei Tage drehfrei hat. Ich habe schon die wildesten Szenen mit ihr gehabt. Sie dreht uns nicht weiter, wenn wir sie nicht fliegen lassen. Darf sie Babs nun also sehen?«
    »Frau Doktor Reinhardt ist dagegen. Sie hat schwerste Bedenken.«
    »Aber Sylvia dreht nicht weiter, Junge!«
    »Habe ich Frau Doktor Reinhardt gesagt.«
    »Und?«
    »Und sie hat gesagt, dann soll sie eben nicht weiterdrehen. Der geht es nämlich um die Erhaltung des halbwegs guten Zustandes von Babs und nicht um fünfundzwanzig Millionen.«
    »Der werde ich was erzählen!«
    »Einen Dreck wirst du der erzählen.«
    »Und warum nicht?«
    »Weil sie – unter den größten Vorbehalten – einen Vorschlag gemacht hat, wie Sylvia Babs sehen könnte.«
    Bracken schlug mir auf die Schulter.
    »Na, dann ist ja alles in Butter, Junge. Warum machst du so ein schafsdämliches Gesicht, wenn du das sagst?«
    »Weil ich Angst habe.«
    »Angst um Sylvia?«
    »Angst um Babs«, sagte ich.

31
    N un ja, mein Herr Richter, und dann passierte es eben …
    Das war am 6. Oktober 1972, an einem Freitagnachmittag. Ruth und ich standen im Erdgeschoß des Sophienkrankenhauses in Nürnberg und sahen durch ein Fenster hinaus in den Park, der hinter der Klinik lag. Da gab es alte Bäume, Sträucher, vielerlei Turn- und Spielgeräte. Babs und der psychotische kleine Sammy (Malechamawitz, der ›Engel des Todes‹) kletterten auf einem verschachtelten Gerüst aus glatten, miteinander verbundenen Chromrohren herum. Es lagen sehr viele Blätter auf der Wiese, rot, gelb, braun. Ich sah schon kahle Äste. Der Herbst kam sehr früh. An diesem Nachmittag schien jedoch noch eine wärmende Sonne. Durch die klare Luft drangen laut die Rufe der beiden Kinder zu uns. Ich sah spinnwebdünne, silberne Fäden dahinschweben – Altweibersommer. Dann sah ich etwas anderes und fühlte, daß sich mein Magen hob. Sylvia war in den Park getreten.
    Sylvia!
    Bei meinem letzten Besuch in Madrid hatte ich ihr genau erklärt, wie sie sich zu verhalten habe, wenn sie nach Nürnberg kam. Ich hatte ihr erzählt, daß Ruth – unter Protest – eingewilligt habe, Babs für kurze Zeit aus Heroldsheid in die Klinik zu holen. Das war nichts Besonderes.

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