Niemand ist eine Insel (German Edition)
dahinterkommen. Ach, Phil, Babs hat jetzt eine so gute Phase! So gut wie noch nie! Ich fahre mit dir hinaus nach Heroldsheid. Ich will dabei sein, wenn du siehst, wie alles besser geworden ist – ganz plötzlich.«
Sie fuhr los. Ich sagte eine Weile nichts, sondern sah sie nur an, bis sie den Blick bemerkte. Sie lachte hilflos.
»Es wird immer schlimmer!«
Sie wendete, und wir lachten beide, und ich dachte: Mein Gott, wie sehr liebe ich diese Frau.
28
W ie viele Äpfel liegen auf dem Tisch?«
»Einer.«
»Richtig, Babs.«
Frau Pohl, die rechte Hand des Rektors, saß mit Babs in einem Zimmer der Mittelklasse. Ruth und ich standen im Hintergrund: Frau Pohl legte noch einen Apfel auf den Tisch.
»Und wie viele Äpfel sind das?«
»Jetzt zwei«, sagte Babs.
Ruth ergriff meine Hand. Der kritische Punkt kam, ich wußte es. Trotz aller Bemühungen hatte Babs bislang nicht wieder zählen gelernt – zählen über zwei hinaus. Monatelange Arbeit war vergeblich gewesen. Babs kam und kam nicht weiter, mit welchen Methoden Frau Pohl es auch versuchte – und das waren viele. Nun legte sie einen dritten Apfel vor Babs, die in einem Hängerkleidchen dasaß, die Schielbrille auf, sehr konzentriert. Frau Pohl sagte: »Prima, Babs, ganz prima, ja, das waren zwei. Und wie viele sind es jetzt, wenn ich den da noch dazulege?«
Babs schwieg. Babs kniff ein Auge zu und sah hilfesuchend zu uns. Wir verharrten ausdruckslos.
»Na, wie viele sind es jetzt, Babs?« Frau Pohl streichelte das Kind.
»Äh … äh …«
»Aber Babs! Das ist doch nicht schwer. Zuerst war es einer. Dann waren es zwei. Wie viele sind es jetzt?«
Babs begann sich vor Anstrengung hin und her zu wiegen. Einen Moment glaubte ich, sie werde in Tränen ausbrechen. Im nächsten Moment sah ich, daß sie lachte. Schnell nahm sie einen Apfel in die Hand, strahlte Frau Pohl an und verkündete: »Den eß ich jetzt auf, dann sind’s wieder zwei!«
»Bravo!« rief Frau Pohl.
»Bravo!« rief Ruth.
Ich konnte nicht sprechen.
»Was habe ich dir gesagt?« flüsterte Ruth.
Ich nickte.
Ich ging zu Babs und hob sie hoch, und sie klammerte sich an mich und küßte mich viele Male, sehr feucht, und ich küßte sie auch.
Glück, mein Herr Richter. Ganz großes Glück darüber, daß es Babs, wie Ruth mir erklärt hatte, wirklich so viel besser ging. Sie konnte immer noch nicht bis drei zählen – aber das war gleichgültig. Sie konnte, in ersten, ganz klar erkennbaren Ansätzen, wieder logisch denken.
29
H ör auf. Bitte, mon petit chou, hör auf.«
»Noch einmal …«
»Aber chéri … nicht doch …!«
»Du sollst ruhig sein!«
Ich war wie von Sinnen. In meinem Leben hatte ich so etwas noch nicht erlebt. Das ging nun seit drei Stunden, mit Pausen, und ich bekam nicht genug, und bekam nicht genug. Suzy, meine kleine, süße Hure, mit den langen blonden Haaren, den festen Brüsten und dem schönsten Hintern, den ich je gesehen hatte, bewegte sich nun nicht mehr, so irre sie sich zuvor aufgeführt hatte. Sie lag still da. Aber ihre Ablehnung machte mich nur noch rasender. Als es bei mir wieder soweit war, glaubte ich, der Kopf werde mir zerspringen. Ich sank auf sie und blieb keuchend liegen. Dann rollte ich zur Seite, und wir redeten beide lange Zeit kein Wort, da in dem prunkvollen Bett des prunkvollen Stadtpalais von Suzyleins Grafen, an der Avenue Foch.
Donnerstag, 28. Oktober 1972, etwa 22 Uhr.
Endlich richtete sich Suzy auf und goß unsere Champagnergläser wieder voll. Der Silberkühler mit den Eisstücken stand neben ihrer Bettseite. Das waren edle Kristallgläser. Und das war ein Dom Pérignon Jahrgang 1961 – einer der besten Jahrgänge, mein Herr Richter. Schon die dritte Flasche, seit ich hier war. Suzys Hände zitterten so beim Einschenken, daß sie einiges an Champagner verschüttete. Ich nahm ein Glas, und wir tranken, und Suzy sagte: »Was ist mit dir los, chéri? So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt. Auch mit dir nicht, früher. Du … du bist verrückt …«
Ich sagte nichts, sondern trank das Glas leer und hielt es Suzy hin, und sie verschüttete wieder einiges beim Nachfüllen.
Ich trank und war erfüllt von nichts als grenzenloser Erleichterung. Von wegen impotent! Ich glaube, an diesem Abend im Oktober hatte ich so viel geleistet wie noch nie zuvor, und da war doch einiges zuvor los gewesen, ach ja. Wer immer du bist, dachte ich, irgend etwas und irgendwer mußt du ja wohl sein, daran glaube ich
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