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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Viele Kinder wurden von Zeit zu Zeit hierhergeholt, wenn eine entsprechende Untersuchung in Heroldsheid nicht vorgenommen werden konnte. Babs hatte das schon oft miterlebt. Ich hatte in Madrid mit Sylvia Tag und Zeit ihrer Ankunft festgelegt. Sie sollte – blonde Perücke und dunkelgetönte Brille – ab Paris mit der LUFTHANSA fliegen. Der Hauptkommissar Sondersen, den ich darum gebeten hatte, war so freundlich gewesen, durchzusetzen, daß – auf seine Verantwortung hin – Sylvia keinen Paß vorzeigen und sich überhaupt nicht ausweisen mußte, weder in Paris noch in Nürnberg. Es war fest besprochen: Ruth und ich würden Sylvia in diesem Korridor erwarten, damit sie von hier aus, nur von hier aus, Babs im Park sehen konnte. Mehr hielt Ruth für gefährlich. Sylvia hatte das akzeptiert. Sylvia hatte alles akzeptiert.
    Und nun …
    »Verflucht!« sagte ich. »Warte, ich renne schnell zu Sylvia und …«
    »Nein.«
    Ruths Stimme klang eisig.
    »Was nein?«
    »Bleib hier. Wenn du jetzt auch noch auftauchst, wird es nur noch ärger. Diese Frau ist zu allem imstande.«
    »Sie hat uns getäuscht! Sie hat mich belogen! Sie ist …«
    »… eine Mutter«, sagte Ruth, das kleine Lamm in der Hand. Sie ballte die Hand zur Faust und preßte diese gegen die Brust.
    Ich öffnete das Fenster einen Spalt.
    Ich sah, wie Sylvia sich langsam der spielenden Babs näherte, so, daß diese sie nicht sehen konnte. Jetzt war sie ganz nahe herangekommen. Ich hörte ihren Ruf: »Babs!«
    Babs, auf einer Sprosse des Gerüsts, drehte sich erstaunt um.
    Sie starrte die Frau mit dem blonden Haar, der dunklen Brille, der übertrieben einfachen Kleidung entgeistert an.
    »Sie ist nicht zu uns gekommen, wie sie versprochen hat, sie ist gleich in den Park gegangen, diese …«
    »Schweig. Das hat jetzt alles keinen Sinn mehr«, sagte Ruth. Ich sah, daß sie bleich geworden war.
    Babs rutschte von dem Spielgerüst zu Boden und wich vor Sylvia zurück. Sammy blieb reglos hocken. Sylvia eilte Babs nach, fiel vor ihr auf die Knie, und dann – dann brach sie in Tränen aus, packte die sich heftig sträubende Babs, preßte sie an sich, küßte sie, streichelte sie, rief laut, so laut, daß wir es in der Stille dieses Nachmittags klar hören konnten: »Babs! Babs, meine süße Babs! Meine geliebte, kleine Babs!«
    Babs war zu Tode erschrocken. Sie begann zu schreien – vor Angst.
    »Warum schreist du denn, mein Gott? Ich bin es doch, Liebling, ich, deine Mami!«
    »Nicht wahr!« schrie Babs.
    »Doch, Babs, doch!«
    »Nein! Nein! Nein!« kreischte Babs.
    Auf dem Gerüst hockte wie ein großer Vogel der ›Engel des Todes‹, unbewegt.
    »Aber ja! Du erkennst mich nur nicht! Schau!« Sylvia riß ihre Perücke herunter, wahrhaftig, mein Herr Richter, das tat sie. »Erkennst du jetzt deine Mami?«
    »Nicht Mami! Nicht Mami! Weg! Geh weg!«
    »Aber Liebling, Schätzchen, was ist denn … Was hast du denn … Erkennst du mich nicht?«
    Dämliche Frage. Natürlich erkannte Babs Sylvia nicht.
    »Du weg! Weg! Weg!« schrie Babs und versuchte, sich aus der Umarmung der Mutter zu befreien. Diese hielt sie fest. Dann, mit einem gellenden Schrei, riß Babs sich von ihr los, trat nach ihr und traf sie so, daß Sylvia, ohnedies schon kauernd, auf den Rasen stürzte. Babs, außer sich, außer jeder Kontrolle, wie in ihren schlimmsten Zeiten, trat und trampelte schreiend auf der schreienden Mutter herum, bespuckte sie.
    »Schnell jetzt!« sagte Ruth. Ich sprang durch das Fenster ins Freie hinaus und half dann Ruth. Wir rannten über die Wiese, auf Babs und Sylvia zu. Ruth packte Babs und lief mit dem Kind zum Haus zurück. Babs kreischte jetzt, als wären tausend Teufel in ihr. Sylvia lag im Gras.
    »Was … was … was …«
    »Warum hast du dich nicht an die Abmachung gehalten?«
    »Mein Kind … Wölfchen … Das ist … furchtbar ist das … Babs hat mich nicht erkannt … Sie ist … Sie ist verrückt!«
    » Du bist verrückt!«
    »Laß mich los!«
    »Du kommst mit!« Als ich ihre Perücke aufhob, sah ich zum Haus. Aus vielen Fenstern waren da schon Gesichter aufgetaucht, neugierig, erschrocken.
    »Ich … komme … nicht … mit dir … du Schwein!«
    Ich riß sie hoch und zwang sie, vor mir herzugehen. Ich erreichte das offene Fenster und hob Sylvia hoch. Sie klammerte sich an den Fensterrahmen, hysterisch kreischend. Ich schlug ihr auf die Hände. Sie ließ den Rahmen los und stürzte in den Gang, auf den Fliesenboden. Ich kletterte

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