Niemand ist eine Insel (German Edition)
Sie. Wollen Sie?«
»Natürlich wollte ich«, erzählte mir Bracken nun, im LE MONDE, viele Wochen danach. »Die Kripo hörte sich alles an. Dann schickte sie zwei Mann, die sich alles haargenau noch einmal erzählen ließen. Dann …«
»Mach’s nicht so spannend. Kurz! Ist ja vermutlich noch einiges passiert seit November vorigen Jahres.«
Er machte es also kurz.
Ich mache es auch kurz.
Die Kriminalpolizei sagte, natürlich werde man einen Erpresser verhaften. Dazu müsse er aber eine richtige Erpressung versuchen. Was Rettland getan habe, könne man so und so ansehen. Wenn man ihn jetzt verhafte, müsse man ihn unter Umständen innerhalb von 24 Stunden wieder laufenlassen. Selbstverständlich sei die Polizei dazu da, die Bürger zu schützen. Jedenfalls wurde in den nächsten Tagen an Sylvias Gerät ein Aufnahme-Recorder angeschlossen und in dem für sie zuständigen Telefonamt eine Fangschaltung installiert. Streifen- und Kriminalbeamte versuchten auch, Romero Rettland zu finden. Sie fanden ihn nicht. Und Rettland gab mehr als fünf Wochen kein Lebenszeichen von sich.
»Du kannst dir Sylvia vorstellen«, sagte Bracken zu mir. »Überarbeitet. Total mit den Nerven herunter wegen Babs. Dazu die Nachsynchronisationsarbeiten und all das andere Zeug. Joe stellte ihr wieder Detektive zur Verfügung. Aber Detektive können für deine Sicherheit sorgen, nicht dafür, daß deine Nerven besser werden.«
»Und was habt ihr getan?«
»Wir haben uns an einen Arzt gewandt. Nicht an so einen Drecksack wie diesen Collins! Einen richtigen Psychiater! Klinikchef! Doktor Elliot Kassner heißt er. Leitet die psychiatrische Abteilung des Santa-Monica-Hospitals. Der beobachtete und behandelte Sylvia also. Tut es noch immer. Intensiver denn je. Großartiger Mann. Hast du etwas gemerkt davon, daß sie die schwerste Krise ihres Lebens durchmacht?«
»Nein.«
»Sage ich ja, großartiger Arzt! Besonders, wenn man bedenkt, was inzwischen noch passiert ist.«
»Was denn noch?«
»Zunächst beruflich: Im April kommt, wie du weißt, die ›Oscar‹-Verleihung. Zuerst war es Gerede, dann ein Gerücht, und jetzt steht fest, daß der KREIDEKREIS für die Verleihung nominiert wird. Und natürlich Sylvia!«
»›Oscar‹ für Sylvia?«
Wie der Schneesturm tobte!
»Und mit Recht! Dürfte nicht heißen: ›Beste Schauspielerin des Jahres‹, sondern: ›Beste Schauspielerin des Jahrhunderts‹!«
»Wann ist die Feierlichkeit?«
»Am sechsten April.«
»Ich nehme an, daß das auch Rettland weiß.«
»Klar! Der hat das mit dem ›Oscar‹ von Anfang an gewußt – oder er hat es so stark geahnt, daß man sagen kann, er wußte es. Das war der Zeitpunkt, auf den er gewartet hatte! Jetzt oder nie! Deshalb hat er auch nicht mehr angerufen. Der ist schlauer gewesen.«
»Schlauer?«
»Der ist wieder zu so einem von diesen Hollywood-Magazinen gegangen. Hat er schon nach Babs’ Geburt getan. Aber damals war Babs gesund! Diese Magazine – du kennst sie. Viele sind seriös. Viel mehr sind es nicht. Die, die es nicht sind, haben die höhere Auflage.«
»Klar.«
Bracken zog einen Artikel mit Fotos aus der Innentasche seiner Jacke und reichte ihn mir.
»Vor vierzehn Tagen erschienen.«
Ich sah mir den Artikel an. Er zeigte Fotos von Sylvia – Glamour-Fotos –, von Rettland – Glamour von einst und daneben Aufnahmen, die dokumentierten, wie er jetzt aussah: arm, alt, weißhaarig, mit unendlich traurigen Hundeaugen. Und ich erblickte – mein Herz begann rasend zu klopfen – mindestens fünf Fotos von Babs aus früherer Zeit. Überschrift riesenhaft aufgemacht über zwei Seiten laufend:
ROMERO RETTLAND: »ICH KANN NICHT LÄNGER SCHWEIGEN!«
Der Artikel, den ich aufmerksam Wort für Wort las, war in der ersten Person, aber natürlich nicht von Rettland geschrieben, das wurde mir klar, als ich die raffinierten Tricks bemerkte. Da waren Fachleute am Werk gewesen. Dieses Blatt versprach sich – zu Recht – natürlich gerade jetzt, drei Monate vor der ›Oscar‹-Verleihung, eine Sensation.
Rettland erzählte also: Von dem Film in Berlin. Von der unbekannten Anfängerin Susanne Mankow, die er entdeckt, die ihm alles zu verdanken, die er nach Hollywood gebracht hatte. Wie er sie vom ersten Moment an geliebt hatte. Wie sie – noch in Berlin – seine Geliebte geworden war. Wie er halb wahnsinnig vor Freude gewesen war, als sie dann in Amerika Babs, seine Tochter , zur Welt brachte. (Nichts im Leben hatte er sich so
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