Niemand ist ohne Schuld - Dark village ; 3
Fingernägel sind lang und rot. Und sie lacht. Aber nicht, weil sie sich so freut, sie zu sehen.
âSie zahlen allesâ, kichert sie. âHotel und die Flugtickets und das Essen und alles. Ich hab es ja immer gesagt, als Sozialfall in Norwegen geht es einem fucking great!â
Sie treffen sie vor einem groÃen grauen Gebäude. Die Frau, die ihnen geholfen hat, ist dabei. Gemeinsam betreten sie das Gebäude und fahren mit dem Lift in eines der oberen Stockwerke. Sie gehen einen langen Flur entlang und durch eine Tür.
Katie und Nick sollen in einem kleinen Vorzimmer warten â es sieht fast so aus wie das Wartezimmer beim Zahnarzt, findet Nicholas â, während die Frau, die ihre Mutter zu sein scheint, mit der anderen Frau in einem Büro verschwindet.
Nach einer Weile hört Nicholas seine Mutter lachen und dann die Worte: Wie viel, sagten Sie? Jeden Monat? Sind Sie sicher? Dann berührt Katie seine Hand und lenkt ihn ab.
âUSAâ, sagt sie. âStell dir das mal vor, Amerika.â
âMmmâ, macht Nicholas.
âWas heiÃt Ja auf Englisch?â, fragt Katie.
Sie haben in den letzten Tagen, seit sie wissen, wie es weitergehen soll, ein bisschen geübt.
âYesâ, sagt Nicholas.
âUnd nein?â
âNo.â
âIch habe Hunger?â
âHungry.â
âNicht einfach nur hungry. Du musst noch mehr sagen. WeiÃt du nicht mehr?â
âIch bin hungryâ, sagt Nicholas und deutet auf sich.
âJa.â Katie muss lächeln. âO.k., das geht auch.â
âSie spricht Norwegischâ, sagt Nicholas und nickt zur Tür mit der Glasscheibe. âDiese Mama.â
âJaâ, sagt Katie.
âDann kann ich es auch auf Norwegisch sagen.â
âDas kannst du ganz bestimmt. Aber es schadet ja nichts, wenn du es trotzdem weiÃt.â
âAber wir wohnen bei ihr zu Hause, oder?â
âIch glaube, jaâ, sagt Katie. âErst mal, jedenfalls.â
âGibt es da auch einen anderen Papa?â, fragt Nicholas. âKriegen wir einen neuen?â
âKeine Ahnung.â
âIch glaube, ich will keine Papas mehrâ, sagt Nicholas.
Eine Woche später â die sie im Hotel verbracht haben â fliegen sie nach New York. Sie haben längst kapiert, wie man am besten mit der Mutter zurechtkommt: Man verhält sich ruhig, vor allem morgens, wenn sie am Abend vorher getrunken hat. Aber das sind sie gewöhnt, Nicholas und Katie. Mit ihrem Vater war es ganz genauso. Das einzige Problem mit der Mutter ist ihre Unberechenbarkeit. Bei ihrem Vater wussten sie eigentlich immer, woran sie waren â ging man ihm nicht auf die Nerven, lief es meistens ganz gut â, aber ihre Mutter ist launisch.
Manchmal will sie mehr Nähe. Sie will, dass sie bei ihr sind, mit ihr lachen und reden. Sie will sie umarmen und drücken. An anderen Tagen geht sie schon in die Luft, wenn sie ihr nur unter die Augen kommen. Was ist mit dir, Kind? Noch nie einen Menschen gesehen? Für wen hältst du dich, dass du mich so anglotzt? Kannst du mich nicht leiden, oder was? Bin ich dir vielleicht nicht gut genug? You are such a fuck, arenât you? A fucking piece of shit. Thatâs what you are .
New York ist riesig, schwarz und laut.
Nicholas klammert sich an Katie. Die Stadt macht ihm Angst. Noch nie hat er sich so klein und unbedeutend gefühlt.
Wenn er Katie verliert und allein eine der vielen StraÃen entlanggeht â die wie kilometerlange Tunnel zwischen den hohen, grauen und schwarzen Häusern verlaufen â, wird er nie wieder irgendwohin finden, denkt er. Er wird verschwinden und von all den Bewegungen und Stimmen und Autos und den schweren Abgaswolken aufgesogen und gefressen werden.
Die Mutter wohnt in einem vierstöckigen Haus. Ihre Wohnung liegt im dritten Stock. Nicholas und Katie teilen sich ein Zimmer. Es ist sehr klein. DrauÃen vor dem Fenster ist eine Feuerleiter angebracht, die in den Hinterhof führt. Sie schlafen gemeinsam in einem Einzelbett. Rücken an Rücken liegen sie da, es ist eng, aber Nicholas ist trotzdem froh. Er kann bei Katie sein. Und das ist das Wichtigste. Er hat keine Angst.
Die Mutter hat häufig Männerbesuch. Die Männer bleiben nie lange, meistens nur eine Nacht, dann verschwinden sie und kommen nie wieder. Nicholas lernt, sie zu ignorieren. Sie sind nichts weiter als unwichtige fremde Geräusche und Gerüche,
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