Niemand ist ohne Schuld - Dark village ; 3
gehen Sie nicht« oder beides sagen will, aber mit einem leisen Rascheln des weiÃen Kittels und der dunklen Haare ist Dr. Lysander schon wieder im Lift verschwunden.
Mein Herz schlägt viel zu schnell. Ich atme ein und aus und zähle dabei jedes Mal bis zehn, wie man es uns beigebracht hat, bis mein Puls wieder langsamer wird. Dann straffe ich meine Schultern und ziehe die Tür weiter auf. Hinter der Schwelle befindet sich ein langer Raum mit einer Tür am anderen Ende und Plastikstühlen an der Wand. Darauf sitzen zwei andere Slater, mit der gleichen Tasche, wie ich sie habe, vor sich auf dem Boden. Ich kenne beide aus der Schule, obwohl ich viel länger hier war als sie. Genau wie ich tragen sie nicht mehr die hellblauen Baumwoll-Overalls, sondern richtige Jeans â also einfach eine andere Uniform. Die beiden lächeln, weil sie sich darauf freuen, endlich das Krankenhaus mit ihren Familien zu verlassen.
Es ist ihnen egal, dass sie ihre Eltern und Geschwister noch nie zuvor gesehen haben.
Eine Krankenschwester hinter einem Tisch auf der anderen Seite des Raums blickt auf. Ich stehe in der Tür und will sie nicht hinter mir zufallen lassen. Die Frau runzelt leicht die Stirn und winkt mich ungeduldig herein.
»Komm. Bist du Kyla? Du musst dich bei mir eintragen, bevor du dich abmelden kannst«, sagt sie und lächelt breit.
Ich zwinge mich, zu ihr zu gehen. Mein Levo vibriert, als die Tür hinter mir ins Schloss fällt. Die Krankenschwester nimmt meine Hand und sieht auf mein Levo, während es noch stärker zu vibrieren beginnt: 3,9. Sie schüttelt den Kopf, hält mit einer Hand meinen Arm fest und bohrt mit der anderen eine Spritze in meine Schulter.
»Was war das?«, frage ich und ziehe meinen Arm weg, obwohl ich die Antwort kenne.
»Nur etwas, um dich bei Laune zu halten, bis du das Problem von jemand anderem geworden bist. Setz dich. Du wirst aufgerufen.«
Mein Magen dreht sich um, doch ich tue, was sie sagt, und setze mich. Die anderen beiden Slater sehen mich mit groÃen Augen an. Ich spüre, wie der Happy Juice langsam durch meine Adern strömt und alle Gefühle verwischt, aber er kann meine Gedanken nicht stoppen â selbst dann nicht, als mein Levo auf 5 steigt.
Was, wenn mich meine Eltern nicht mögen? Selbst wenn ich mir wirklich Mühe gebe â was zugegebenermaÃen nicht immer der Fall ist â, scheinen mich andere Menschen nicht unbedingt leicht ins Herz zu schlieÃen. Sie werden wütend, wie Dr. Lysander, wenn ich nicht tue oder sage, was sie erwarten.
Und was, wenn ich sie nicht mag? Ich kenne nur ihre Namen. Alles, was ich habe, ist ein Foto, das gerahmt an der Wand meines Krankenzimmers hing und jetzt in meiner Tasche steckt. David, Sandra und Amy Davis. Dad, Mum und meine groÃe Schwester. Sie lächeln in die Kamera und sehen ganz nett aus, aber wer weià schon, wie sie wirklich sind?
Doch letztendlich ist das alles unwichtig, denn ganz egal, wer sie sind â ich muss dafür sorgen, dass sie mich mögen.
Scheitern ist keine Option.
Die »Sachbearbeitung« ist kaum der Rede wert. Ich werde gescannt, fotografiert, gewogen und meine Fingerabdrücke werden genommen.
Wie sich herausstellt, ist die »Entlassung« der schwierigere Teil. Die Schwester erklärt mir auf dem Weg, dass ich meine Mutter und meinen Vater begrüÃen muss, dass sie und ich ein paar Formulare unterschreiben werden, die belegen, dass wir jetzt alle eine groÃe wundervolle Familie sind, und wir dann gemeinsam nach Hause fahren werden, um für immer glücklich miteinander zu leben. Natürlich springt mir das Problem sofort ins Auge: Was, wenn sie mich sehen und sich plötzlich weigern zu unterschreiben? Was dann?
»Steh gerade! Und lächle «, zischt die Schwester und schiebt mich durch die Tür.
Ich setze ein breites Lächeln auf, obwohl ich genau weiÃ, dass es aus einer ängstlichen und traurigen Kyla keine engelsgleiche und glückliche Erscheinung macht.
Kaum bin ich über die Schwelle getreten, bleibe ich wie angewurzelt stehen: Da sind sie. Ich hatte irgendwie damit gerechnet, dass sie dort stehen würden wie auf dem Foto, in den gleichen Klamotten, wie Puppen. Aber alle drei tragen unterschiedliche Kleidung, sie stehen anders und tausend Details kämpfen um meine Aufmerksamkeit. Es ist alles zu viel für mich. Der Anblick meiner neuen Familie droht mich zu überwältigen,
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