Niemand kennt mich so wie du
Eile. Sie sprang förmlich aus ihrem Auto, und es gab Tage, da sah es so aus, als würde sie sich nicht mal die Zeit nehmen abzuschließen. Lily rannte immer – vom Auto ins Krankenhaus und wieder zurück, und sie blieb nur stehen, wenn sie auf Adam den Bummler traf. Er hielt sie auf, und dann sprachen sie eine Minute lang miteinander, ehe die gehetzte Lily entweder in die eine oder in die andere Richtung davonrannte.
Es gab einen Arzt, der grundsätzlich fünf Minuten lang in seinem Wagen saß, ehe er ausstieg oder davonfuhr. Sein Parkplatz war ganz in der Nähe ihres Fensters, und Eve konnte erkennen, dass er nicht telefonierte. Er saß einfach nur da. Betend? Meditierend? Schlafend? Ehe er aus dem Auto stieg, zog er sich das Sakko aus und den Arztkittel an. Er trug das Sakko dann über dem Arm, und Eve sah ihn nie mit jemandem sprechen.
Am ersten Tag der dritten Woche sah Eve zufällig zum Fenster hinaus, als sie zum ersten Mal nach zwanzig Jahren Declan Donovan wiedersah. Er fiel ihr auf, als er seinen Wagen parkte. Das Verdeck war geöffnet, und sie erkannte ihn zwar sofort, doch trotzdem traute sie ihren Augen nicht. Er fuhr irgendeinen Mercedes – sie hatte keine Ahnung, was für ein Modell, denn Eve hatte sich nie sonderlich für Autos interessiert. Adam fuhr ein rotes Sportteil, das in ihren Augen aus irgendeinem Grund nicht zu seiner Persönlichkeit passte. Lily fuhr einen fünf Jahre alten VW Polo mit einer Beule in der hinteren Stoßstange – das Ergebnis von Scotts erster und gleichzeitig letzter Fahrstunde bei seiner Mutter, während der er Bekanntschaft mit einem Laternenpfahl gemacht hatte. Der Benz war neu und ein absoluter Blickfang. Selbst aus der Entfernung konnte Eve die cremefarbene Ausstattung erkennen, ehe Declan das Verdeck schloss und ausstieg. Bist du das? Er zog sich das Jackett an und schloss die Wagentür. Er bürstete mit den Händen über den Stoff und sah prüfend an sich herab, um sicherzugehen, dass nichts zerknittert war. Du bist es, oder? Er kam mit selbstsicheren Schritten auf sie zu. Je näher er dem Eingang drei Stockwerke unter ihr kam, desto sicherer war sie sich. O Gott! Ja! Du bist es! Ihr Herz schlug schneller, ihr Puls raste. Ihr drehte sich vor Aufregung der Magen um, aber es war keine freudige Erregung. Mir ist schlecht. Mir ist schlecht. Oh, Eve, im Ernst? Sich jetzt zu übergeben, ist ein wenig melodramatisch, findest du nicht? Offensichtlich nicht, denn Eve übergab sich tatsächlich, und es war Lily, die sich danach um sie kümmerte.
«Was war das denn? Hat Clooney dich heimlich gefüttert? Du weißt, dass du dich immer noch an unsere Diätkost halten musst!»
«Nein», sagte Eve, ohne nachzudenken, aber als sie sich auf Lilys Frage konzentrierte, überlegte sie es sich anders. «Doch, doch, hat er. Es kann wirklich keiner von mir erwarten, dass ich mich ständig von diesem Fraß hier ernähre. Aber jetzt ist mir nicht mehr schlecht, alles in Ordnung.»
«Dein Puls ist überhöht. Hast du Schmerzen?»
«Nein. Mir geht’s gut.»
«Kopfweh?»
«Ich habe immer Kopfweh.»
«Das ist nicht gut. Ich hole Adam.»
«Nein, nein, bitte hol ihn nicht.»
«Doch. Und zwar gleich.»
«Mist.»
Lily hatte Eve gestanden, dass Adam der einzige echte Freund war, den sie seit langen Jahren hatte, und sie befürchtete, dass er ernsthafte Gefühle für sie hegte. Sie wollte ihn nicht verlieren, aber sie fühlte sich sexuell nicht zu ihm hingezogen, und das hatte nichts damit zu tun, dass sie verheiratet war. Eve wusste von Anfang an, dass Adam nicht Lilys Typ war. Sie war sich deshalb so sicher, weil sie ihn trotz ihres angeschlagenen Zustandes selbst ganz eindeutig anziehend fand. Er war groß und schlank, nicht ausgesprochen breit, aber muskulös. Er besaß den Körperbau eines Langstreckenläufers, und sein wilder brauner Haarschopf führte entschieden ein Eigenleben. Manchmal waren seine Augen braun, und an manchen Tagen wirkten sie fast grün. Sie fragte sich, ob es mit dem Licht, mit dem Wetter oder mit seiner Stimmung zu tun hatte. Er hatte ein offenes Lächeln und ebenmäßige Zähne. Seine Anzüge bewiesen modischen Geschmack und hoben sich von der sonst üblichen eintönigen Nadelstreifenbrigade in Grau, Dunkelblau und Schwarz ab. Er mochte Leinen, und es stand ihm. Seine Hemden waren stets farbig oder gemustert, niemals weiß und niemals langweilig. Er besaß einen Sinn für Mode, der von Leuten, denen es daran mangelte, als seltsam oder überkandidelt
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