Niemand kennt mich so wie du
einer Zeitschrift was darüber gelesen habe. Gina meinte, sie wäre schon durchgecheckt worden. Bitte erzähl keinem was davon, aber sie war sogar eine Zeitlang im Irrenhaus, weil sie versucht hat, sich umzubringen, als er sie verlassen hat. Die Arme, sie ist bestimmt Sadomasochistin.
Na ja, du hast wenigstens Clooney und seine Freunde noch bei dir, und Colm wird drüber wegkommen, also mach dir keine Sorgen. Grüß meinen Bruder von mir und sag ihm, es wäre ganz schön still zu Hause ohne ihn. Es ist großartig, das Bad fast für mich allein zu haben. Dad verschwindet morgens schon in aller Frühe, und das bedeutet, ich kann mir beim Duschen so richtig schön Zeit lassen. Ich kann es kaum erwarten, endlich allein zu wohnen. Wobei: Ich werde im College ein paar Jahre lang mit wer weiß was für Leuten zusammenwohnen, und das ist wahrscheinlich schlimmer, als sich mit Dad und Clooney das Bad zu teilen. Die beiden sind wenigstens sehr reinlich.
London rückt immer näher, und ich werde langsam nervös. Ich habe den totalen Knaller genäht. Gina hat mich gebeten, für die Tochter ihrer Schwester (nicht die Irre, mir fällt der Name nicht mehr ein, die uralte jedenfalls) ein Kleid für die Firmung zu nähen. Sie hat wunderschönen Stoff besorgt, und ich habe ihr ein cremefarbenes, mittellanges Kleid genäht. Sie liebt es über alles, und es steht ihr richtig gut. Ich bin total zufrieden damit, aber abgesehen davon habe ich im Augenblick ziemlich schlechte Laune. Bens bescheuerte Großmutter hatte einen bescheuerten Schlaganfall. Sie lebt in Cavan. Völlig bescheuert! Er ist seit Montagabend dort. Sie ist zweiundneunzig und liegt anscheinend im Sterben, und jetzt muss die ganze Familie dableiben, bis sie aus den Latschen kippt. Sie tut jetzt bereits seit sieben Tagen ihren letzten Atemzug, und ich wünschte wirklich, sie würde sich ein bisschen beeilen und endlich sterben. Ich weiß, es klingt brutal, aber sie hat zweiundneunzig Jahre auf diesem Planeten hinter sich gebracht, und ich bin erst einen Monat lang mit ihrem Enkelsohn zusammen. Ausgerechnet jetzt beschließt sie zu sterben, und noch schlimmer: langsam zu sterben, und zwar in CAVAN. Wenn sie in der Nähe wäre, könnte ich ihn wenigstens ab und zu sehen. Ich vermisse ihn wirklich. Ich meine, ich vermisse ihn so sehr, dass mir die Knochen weh tun und ich die ganze Zeit am liebsten heulen würde. Ich weiß! Ich dumme Kuh! Ich muss die ganze Zeit daran denken, wie er aussieht, wie er riecht, wie er sich anfühlt. Ich habe ein T-Shirt von ihm, das er letzte Woche hiergelassen hat. Er hatte es unter seinem Pullover an und hat vergessen, es nach dem unglaublichsten Sex aller Zeiten (mehr dazu, wenn wir uns endlich wiedersehen) wieder anzuziehen. Jedenfalls habe ich es in meine Schublade getan, und ab und zu hole ich es raus und rieche daran. Ich werde bestimmt auch bald in die Klapse eingeliefert, so wie Helen. Jedenfalls ist jeder Tag, an dem Bens Oma nicht stirbt, ein Tag mehr, an dem ich Ben nicht sehen kann, und weißt du, was das Schlimmste daran ist? Falls sie heute, jetzt, in dieser Minute, doch endlich sterben sollte, sehen wir uns bis mindestens nächsten Mittwoch trotzdem nicht wieder, wegen der bescheuerten Beerdigung. Als er gestern Abend anrief, habe ich ihn gefragt, ob er sich nicht von ihr verabschieden und nach Hause fahren könnte, um dann, wenn sie gestorben ist, wieder runterzufahren – in meinen Augen ein absolut vernünftiger Vorschlag. Er sagte, er würde auf gar keinen Fall seine Mutter allein lassen. Wir haben uns tatsächlich gestritten, weil ich ihm nicht einfühlsam genug bin. Ich sagte, schließlich hat er gewusst, worauf er sich einlässt. Ich werde nicht so tun, als fände ich den Tod einer zweiundneunzigjährigen Frau, die er noch nicht mal richtig kennt, besonders traurig. Noch dazu, weil sie seit Jahren dement ist, was bedeutet, dass sie ihn noch nicht mal erkennt und wahrscheinlich weder weiß noch wichtig findet, dass er überhaupt da ist. AAARRRGGGHHHH! FRUST! Er meinte, seine Mutter wäre total am Ende, und als ich wissen wollte, warum, hat er aufgelegt. Später rief er dann zwar noch mal an, aber er war immer noch stocksauer auf mich, obwohl ich mich entschuldigt habe. Er fand, dass ich manchmal echt eiskalt wäre. Woraufhin ich sagte, der Begriff pragmatisch wäre mir lieber. Er sagte, es wäre ihm egal, wie ich es nenne, jedenfalls würde er sich deswegen Gedanken machen. Ich sagte, es gäbe keinen Grund, sich Gedanken zu
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