Niemand kennt mich so wie du
versteckte. Womöglich könnte er sogar Verständnis dafür zeigen, dass sie mit der Situation so umgegangen war. Er hätte nett und verständnisvoll sein müssen und mit ihr darüber reden sollen, wie es ihr damit ging, ihre alten Freunde wiederzusehen. Er hätte Mitgefühl zeigen sollen. Schließlich waren seitdem zwanzig Jahre vergangen, und zwanzig Jahre sind eine lange Zeit. Sie hatten sich ein gemeinsames Leben aufgebaut, sie hatten zwei Kinder, und das war viel wert. Er hätte Eve besuchen und sich mit ihr versöhnen sollen. Er hätte Clooney die Hand geben und Vergangenes in der Vergangenheit belassen sollen. Wir machen alle Fehler. Natürlich hielten seine Sturheit, seine Eitelkeit und sein Verfolgungswahn ihn davon ab, irgendetwas dergleichen zu tun. Es hatte eine Zeit in Declans Leben gegeben, da hatte er Lily all seine Gedanken anvertraut, all seine verborgenen Geheimnisse, seine Ängste und Schamgefühle – damals, als er ein zutiefst traumatisierter, einsamer Junge war mit dem verzweifelten Wunsch, seinem schrecklichen Leben zu entrinnen. Wenn sein Vater ihn misshandelte und seine Mutter wegsah, schöpfte Declan Kraft aus Lilys Liebe. Er glaubte an sie und vertraute ihr blindlings. Sie hatte dieses Vertrauen nur ein einziges Mal missbraucht, doch das hatte ausgereicht, um andauerndes Misstrauen zu säen. Er schwor, dass er ihr verziehen hätte, und flehte sie seinerseits um Vergebung an, doch das war eine Lüge. Er würde ihr niemals verzeihen, und zudem machte er sie fortan für alle seine Sünden verantwortlich, weil sie sein Vertrauen missbraucht hatte. Denn hätte sie nicht … hätte er nicht … Dann hätte alles anders sein können. Eve und Clooney Hayes, verflucht noch mal! Wenn ich gewusst hätte, dass ich damit durchkomme, hätte ich sie beide umgebracht!
Wäre Declan ein anderer Typ Mensch gewesen, hätte er seine Frau in die Arme genommen, ihr gesagt, dass er sie liebe, sie gefragt, ob sie glücklich sei und was er tun könne, falls dem nicht so wäre. Möglicherweise hätte das funktioniert. Möglicherweise hätte Lily sich ihm anvertraut, ihm gestanden, dass sie mehr Freiraum brauchte, dass sie es satthatte, sich wie eine Sklavin ihres Mannes und ihrer Kinder zu fühlen. Dass sie sich wünschte, in ihrem Sexleben ginge es mehr um Liebe und weniger um Unterwerfung. Dass sie sich wünschte, er würde ihre Gefühle respektieren und aufhören, sie und den Rest der Welt wie persönliche Feinde zu behandeln. Doch der Mensch ändert sich nun mal nicht, nur weil ihn jemand darum bittet. Womöglich war das der Grund, weshalb Declan seine Frau nicht zur Rede stellte. Vielleicht wusste er, dass sie diese Konfrontation als Anlass nehmen würde, ihn und ihr gemeinsames Leben zu ändern, und ihm gefiel sein Leben, wie es war. Er wollte nicht, dass sich irgendetwas änderte. Er hätte nicht gewusst, wie er sich ändern sollte. Es war unmöglich, und ganz abgesehen davon: Wie kam Lily dazu, von ihm zu verlangen, dass er sich änderte? Sie behauptete seit achtzehn Jahren, er sei paranoid, und es mochte sein, dass sie damit manchmal nicht ganz unrecht hatte, doch in diesem Fall war er nicht paranoid, er war im Recht. Declan sagte nichts zu seiner Frau, weil es zwar einen winzigen Teil in ihm gab, der ihm leise Du wirst sie verlieren zuflüsterte. Der größere Teil von ihm, der arrogante, egoistische, paranoide und wütende Teil, brüllte ihm jedoch in voller Lautstärke Sie verarscht dich, es wird Zeit, dass du das unterbindest und der Schlampe den Kopf zurechtrückst! ins Ohr. Jeder Tag, der verging, jeder Blick zwischen ihnen, jedes Wort, das unausgesprochen blieb, jede Lüge, die er ihr aus der Nase zog, befeuerten seinen Zorn und fütterten seinen Rachedurst. In Declan Donovan brodelte es gewaltig. Es war nur eine Frage der Zeit, ehe er den Siedepunkt erreichen und der Kessel explodieren würde und Lily seinen Zorn zu spüren bekäme, doch dann wäre es ausgestanden. Nicht ein einziges Mal kam Declan Donovan in seinem paranoiden Gehirn der Gedanke, dass seine Frau ihn verlassen könnte. Ich würde sie nicht gehen lassen.
Als Eve am rechten Bein der Gips abgenommen wurde, war dies Anlass für eine kleine Feier. Lily brachte einen Minikuchen inklusive Kerze mit, die Eve auspusten musste, ehe sie ihn wieder einpackte, um ihn später mit Clooney zu essen. Eves Schulter wurde von Tag zu Tag besser, und das bedeutete, dass sie ab sofort üben konnte, auf Krücken zu gehen. Die Schulter tat zwar weh,
Weitere Kostenlose Bücher