Niemand kennt mich so wie du
Küche hinaus in den Garten, wo die meisten der Frauen versammelt saßen, auch Rachel. Sie plauderten und lachten. Bei Lilys Anblick verstummten sie. Rachel stand auf und begrüßte sie verdattert.
«Lily! Wie geht es dir?»
Die Frauen tranken keinen Kaffee, obwohl es welchen gab – sie soffen tatsächlich Wein, und das vor zwölf Uhr mittags. Sie starrten Lily an wie eine Außerirdische.
Lily blickte sich um und musterte die Frauen, denen sie im Laufe der Jahre fast allen auf die ein oder andere Weise geholfen hatte, wie sie da versammelt saßen, sich amüsierten und sie absichtlich ausschlossen, und plötzlich war alle Schlagfertigkeit und Überlegenheit verschwunden. Der Schmerz war überwältigend. Ich habe mich vollkommen verrenkt, um eure Freundin zu werden. Sie versuchte zu sprechen, doch ihr versagte die Stimme. Was habe ich euch eigentlich jemals getan? Statt einem scharfzüngigen Spruch kamen Lily die Tränen. Sie konnte sie nicht aufhalten und stand einfach nur da, mitten im Garten der Lennons, und weinte, während ihre Nachbarinnen sie stumm beobachteten.
Amy Fitzpatrick, eine blondierte, botoxgespritzte Frau, presste sich das Weinglas gegen die Lippen, als hätte sie Mühe, einen Kommentar oder sogar Gelächter zurückzuhalten. Sie war fünfundvierzig Jahre alt, ausgezehrt und verhärmt, sämtlicher Versuche von Ärzten und Kosmetikerinnen zum Trotz. Sie sah aus, als hätte sie Mitte der Achtziger zuletzt etwas gegessen, und Lily vermutete schon lange, dass sie Bulimikerin war, die tagsüber hungerte, um sich nachts vollzustopfen und dann alles wieder von sich zu geben. Sie kleidete sich haargenau so wie ihre zwanzigjährige Tochter, und die Jahre auf der Sonnenbank hatten ihr eine gegerbte Lederhaut beschert. Sie war gemein wie eine Schlange, hatte sich über kurz oder lang schon mit jeder der Anwesenden überworfen, und trotzdem war sie eingeladen worden.
Naomi Smith, eine Frau Mitte dreißig, die früher außerordentlich anmutig und elegant gewesen war, wusste sich zwar immer noch zu kleiden, doch sie hatte sich nach ihrer fünften Schwangerschaft gehen lassen. Sie hatte den Mund voller Kuchen und traute sich nun weder zu kauen noch zu schlucken. Also ließ sie die breiige Masse einfach im Mund zergehen. Sie war immer noch schön, doch ihr Körperumfang, das Engagement für ihre Kinder und der gehetzte Blick ihres Ehemanns legten die Vermutung nahe, dass ihr Lustgarten endgültig den Betrieb eingestellt hatte. Wenn sie nicht gerade aß, kochte oder backte, redete sie über ihre Kinder. Sie langweilte ihre Umgebung mit endlosen Schwafeleien darüber, was Patrick gesagt oder was Veronica getan habe, was Shane doch für ein Witzbold und wie süß Davey sei, und: Habe ich euch eigentlich schon erzählt, was Michael letzte Woche in der Windel hatte? An einem Vormittag wie diesem, wo die Frauen sich nur möglichst rasch betrinken wollten, gingen alle einem Gespräch mit ihr aus dem Weg, und trotzdem war sie eingeladen worden.
Sofia Harris hielt den Blick hinter der Sonnenbrille gesenkt und wickelte sich die Serviette straff um die Finger. Selbst wenn es ihr gut ging, war sie eine angespannte, nervöse Frau, Ende vierzig und Mutter von In-vitro-Zwillingen, die ihr einiges abverlangten. Eines der beiden Kinder war mit einem Herzfehler zur Welt gekommmen, und Sofia hatte die ersten beiden Lebensjahre ihrer kleinen Tochter zum Großteil im Krankenhaus verbracht. Inzwischen waren die Zwillinge fünf Jahre alt, und der Kleinen ging es gut, doch sie musste ständig beobachtet werden, und deswegen war Sofia übervorsichtig. Wenn es schwierig wurde, wandte sie sich oft an Lily. Sie war die Einzige, die zu dieser vormittäglichen Kaffeerunde tatsächlich Kaffee trank und wenigstens den Anstand besaß, beschämt zu sein. Sofia mochte Lily und hatte bei den anderen oft für sie Partei ergriffen. Trotzdem waren sie sich alle einig, dass Lily einfach nicht zu ihrer Mädelsrunde passte und wahrscheinlich sowieso nicht kommmen würde, wenn man sie einlud.
Es waren noch andere da. Einige feixten, einige verzogen das Gesicht, einige starrten nur peinlich berührt vor sich hin, und einige Gesichter hatte Lily noch nie zuvor gesehen. Sie sah Rachel an, deren Gesichtsausdruck sich von Überraschung in Unbehagen verwandelt hatte.
«Ich glaube, du gehst jetzt besser», sagte sie, und sie hatte recht.
Lily hatte hier nichts verloren. Sie war ein Eindringling, und noch dazu ein weinender. Eve hatte recht. Ihr seid
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