Niemand kennt mich so wie du
Nähe von Donnybrook.»
«Na, dann muss es wohl Schicksal sein», sagte er und klang dabei sehr wie der Junge, den sie in einem Sommer vor zwanzig Jahren geliebt und wieder verloren hatte.
Ihr Herz machte einen Satz. Er ist verheiratet, Eve, benimm dich!
Sie trafen sich in der Nähe des Krankenhauses auf eine Tasse Kaffee, und ihre Befürchtungen, es könnte ein bisschen komisch werden, waren unbegründet. Sie gingen völlig unbefangen miteinander um, ohne sich zurückzuhalten und ohne viel in der Vergangenheit zu schwelgen.
«Aha, also Edelsupermärkte», sagte sie.
«Aha, also billiger Modeschmuck.»
«Das ist nur ein winziger Teil des Geschäfts, und abgesehen davon bevorzuge ich den Ausdruck ‹erschwinglich›. Und wolltest du nicht eigentlich vom gequälten Dichter zum Rockstar werden?»
«Tja, es hat sich rausgestellt, dass du recht hattest und ich scheiße war, aber wolltest du nicht eigentlich die nächste Coco Chanel werden?»
«Dinge ändern sich.»
«Du hast dich kein bisschen verändert.»
Er sah sie anerkennend an, und ihr Herz schlug schneller.
Eve war nicht so leicht in Verlegenheit zu bringen. Sie war weder besonders eitel, noch litt sie an Selbstüberschätzung, und sie fühlte sich nur selten schön, obwohl sie selbst die Schönheit noch in den eigenwilligsten Gesichtern entdeckte. Daran hatten auch viele Jahre in der Modebranche nichts geändert.
In Wirklichkeit galt Eve bei den Menschen, die ihr nahestanden, als ziemlich schön. Sie war eins achtzig groß, von Natur aus blond, und der Pixiehaarschnitt passte gut zu ihrem Gesicht. Sie hatte eine schlanke, sportliche Figur, makellose Haut und grüne Augen. Wäre ihre Abneigung gegen Kameras nicht gewesen, hätte Eve Model werden können. Sie hatte sich schon immer etwas knabenhaft gefühlt. Mit Anfang zwanzig entschied sie sich für einen Kurzhaarschnitt und trug noch heute eine Version davon, nicht weil es modisch, sondern weil es praktisch war. Zur großen Empörung ihrer amerikanischen Freundinnen trug sie grundsätzlich Jeans, Tops und Blazer und schminkte sich so gut wie nie. Sie war kein Girlie, sie besaß keine Million Schuhe, und obwohl sie Schmuck entwarf, war das Einzige, was sie selbst trug, ein kreisrunder goldener Anhänger um den Hals, in den der Name ihrer Mutter eingraviert war. Weil sie so groß war, musste sie sehr oft nach unten sehen und daher auf ihre Haltung achten, denn wenn sie sich gehen ließ, machte sie einen Buckel. Aber das geschah eher selten. Wenn Eve in den Spiegel schaute, sah sie trotz der einhelligen Meinung nicht, was die anderen sahen. Um ehrlich zu sein, fühlte Eve Hayes sich nur schön, wenn sie sich mit Ben Logans Augen sah. Und jetzt, zwanzig Jahre nachdem sie sich in der schlimmsten Nacht ihres Lebens getrennt hatten, saß sie mit ihm in einem Café in Dublin und errötete, weil sie sich eine Stunde lang wieder schön fühlte.
Nach diesem erfolgreichen Wiedersehen trafen sie sich regelmäßig. Zuerst nur zum Kaffeetrinken, dann zum Mittagessen, dann zum Abendessen, auf ein paar Drinks in einer Bar, und als sie schließlich miteinander schliefen, geschah es mit der Übereinkunft, dass er seine Frau und sie ihr Leben liebte und sie nichts weiter voneinander wollten als ein bisschen Abwechslung. Beiden war bewusst, dass Eves Aufenthalt in Irland zeitlich begrenzt war. Sie fühlten beide dasselbe. Sie wollten beide dasselbe. Sie waren fest überzeugt davon, dass niemand leiden würde.
Eve hatte nicht damit gerechnet, dass ihre Rückkehr nach Hause und der Tod ihres Vaters sie so gravierend verändern würden. Das von pausenloser Arbeit geprägte Leben, das sie sich in Amerika aufgebaut hatte, würde mit der veränderten Eve in Zukunft nicht länger klarkommen und – noch viel wichtiger – sie mit diesem Leben auch nicht mehr.
Zu Beginn leugnete sie, dass sie ein anderes Leben wollte oder brauchte, und versuchte verzweifelt, wieder Tritt zu fassen. Sie war ausgebrannt und wollte kein Wirtschaftsunternehmen mehr führen. Sie wollte keinen Schmuck mehr entwerfen. Sie wollte ihn nicht mehr vermarkten und verkaufen. Ihr Leben bestand bereits derart lange aus purem Stress, dass sie, ohne es zu merken, zum Workaholic mit wenig bis gar keiner Lebensqualität mutiert war. Die Gesellschaft ihres Vaters, von Clooney und ihren alten Freunden öffnete ihr die Augen, und ihr kam der Gedanke, dass im Grunde niemand tatsächlich Notiz davon nähme, wenn sie sterben würde. Dieser Gedanke machte ihr Angst. Ich
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