Niemand kennt mich so wie du
mitgeteilt. In Pauls Gesellschaft fühlte man sich wohl, doch er sprach kaum über sein Privatleben, und deshalb wusste niemand, was Paul tat, mit wem er es tat oder ob er überhaupt irgendwas mit irgendjemandem tat, seit Paddy auf so mysteriöse Weise aus seinem Leben verschwunden war. Als sie vor einem Jahr abends miteinander essen waren, hatte Eve versucht, ihm irgendwelche Informationen aus der Nase zu ziehen, indem sie ihn mit ihrem sterbenden Vater emotional zu erpressen versuchte.
«Nein.»
«Ach, komm schon, erzähl mir was.»
«Nein.»
«Ich brauche Ablenkung.»
«Nein.»
«Wieso denn nicht?»
«Weil ich nicht will.»
«Du bist ein schlechter Schwuler.»
«Du hast ja keine Ahnung.»
Er lächelte sie an, nickte vielsagend und wechselte zu einem Thema, das mit seinem Privatleben nichts zu tun hatte. Also sprachen sie den Rest des Abends über Eve.
Sie hatte es während ihres kurzen Irlandaufenthaltes sogar geschafft, sich mit Ben Logan zu treffen. Er hatte sie ein halbes Jahr vor der Diagnose ihres Vaters ebenfalls über Facebook kontaktiert. Sie dachte lange und gründlich darüber nach, ob sie seine Freundschaft akzeptieren sollte, ehe sie eine Entscheidung traf. Sie holte sich sogar bei ein paar amerikanischen Freundinnen Rat.
«Nie, nie, nie einen Ex auf die Freundesliste setzen», sagte Debbie.
«Natürlich nimmst du die Freundschaft an! Ist ja schließlich nicht so, dass du hier was am Laufen hättest», hielt Marsha dagegen.
«Es ist gefährlich», sagte Debbie.
«Was soll denn daran gefährlich sein?», wollte Marsha wissen. «Er lebt da, sie lebt hier, und es ist nur ein winziger Flirt im Netz. Sie muss weiß Gott was unternehmen.»
«Wieso kauft sie sich nicht einfach ein neues Kleid, brezelt sich auf und verabredet sich?»
«Ich bin übrigens anwesend», warf Eve ein, um sich in Erinnerung zu bringen.
Trotz Debbies Warnung gewann ihre Neugierde schließlich die Oberhand, und nachdem sie lange genug gewartet hatte, um auch wirklich niemandem und schon gar nicht Ben das Gefühl zu geben, übereifrig zu sein, bestätigte sie seine Freundschaftsanfrage und klickte sich sofort durch seine Fotos und die Pinnwand. Immer noch klein und immer noch ein absoluter Blickfang. Sein Haar war dicht, er war sonnengebräunt und strotzte vor Gesundheit. Oh, Ben, für mich wirst du immer Glenn Medeiros bleiben. Er ging eindeutig ins Fitnessstudio, und seine Augen fingen immer noch an zu strahlen, sobald eine Kamera in der Nähe war. Er besaß eine edle Biosupermarktkette mit Filialen in Dublin, Wicklow, Galway und Cork. Er war mit einer Frau namens Fiona verheiratet. Die Fotos legten nahe, dass sie trotz des Minilebensmittelimperiums oft verreisten und keine Kinder hatten. Ein paar Stunden, nachdem Eve seine Freundschaft akzeptiert hatte, schrieb er ihr eine Nachricht.
Hey, Blondie,
war mir nicht sicher, ob du annehmen würdest. Schön, dass du’s getan hast. Gratuliere zu deinem Erfolg. Ich wusste immer, dass du es schaffen würdest, auch wenn ich überrascht bin, dass du beim Schmuck gelandet bist. Aber ich dachte ja auch immer, ich werde ein Rockstar, und jetzt verkaufe ich Lebensmittel. Was macht das Leben? Kommst du ab und zu nach Hause?
Kuss, Ben alias Glenn M.
Sie hatte ihm freundlich geantwortet und ihm zu seinem beruflichen Erfolg und seiner Ehe gratuliert. Sie schrieb, dass sie seit Jahren nicht zu Hause gewesen sei, wünschte ihm alles Gute und verabschiedete sich höflich. Danach kommentierten sie gegenseitig ihre Statusmeldungen, markierten einander auf alten Fotos oder lustigen YouTube-Videos, und ab und zu klickten sie «Gefällt mir», wenn der andere etwas gepostet hatte.
Das war mehr oder weniger der Stand der Dinge, als Eves Vater krank wurde.
Eve war seit einer Woche zu Hause, als Ben anrief und fragte, ob sie sich mit ihm auf eine Tasse Kaffee treffen wolle. Sie hatte bisher die meiste Zeit damit verbracht, im Krankenhaus ein und aus zu gehen, und dabei gleichzeitig versucht, zu Hause das Zimmer für ihren Vater einzurichten und die häusliche Pflege zu organisieren. Wenn sie nicht gerade durch die Gegend rannte, war sie allein zu Hause und wartete auf Clooneys Rückkehr. Sie hatte sich weder bei Gar noch bei Paul gemeldet, da spürte Ben sie plötzlich auf.
«Woher wusstest du, dass ich hier bin?», fragte sie fassungslos.
«Ich dachte, ich hätte dich in Donnybrook rumlaufen sehen, und da hab ich’s einfach probiert und dich angerufen.»
«Ich war nicht mal in der
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