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Niemand kennt mich so wie du

Niemand kennt mich so wie du

Titel: Niemand kennt mich so wie du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna McPartlin
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unfreiwillig verlängert werden musste, weil er für sein Studium zwei Jahre länger brauchte. Als er zum ersten Mal durchfiel, machte er das ständige Schreien seines kleinen Sohnes und Lilys Unfähigkeit, ihn zu beruhigen, dafür verantwortlich. Nachts lag er wach, tagsüber studierte er, und ihm wuchs alles über den Kopf. Sie versuchte zu helfen, wo sie konnte, doch das machte es nur noch schlimmer.
    «Wie willst du denn helfen?», brüllte er eines Abends, als er für die Prüfungen büffeln musste. Scott war damals gerade sechs Wochen alt und litt unter Koliken. Lily tat, was sie konnte, um das Kind zu beruhigen, aber er schrie und schrie, und als Declan völlig erschöpft war und nicht mehr in der Lage, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen, versuchte sie, ihn dazu zu überreden, für die Dauer der Prüfungen aus der winzigen Zweizimmerwohnung auszuziehen.
    «Wo zum Teufel willst du mich denn hinschicken?», brüllte er.
    «Irgendwohin», entgegnete sie ruhig.
    «Versuchst du etwa, mich aus meinem eigenen Haus zu werfen?»
    «Nein», antwortete sie. «Natürlich nicht. Ich möchte nur, dass du in der Lage bist zu lernen. Könntest du denn nicht bei einem deiner Studienkollegen unterkommen?»
    Er war erschöpft, irrational und paranoid. «Ach so. Das Baby ist da, und ich bin draußen. Ist es das?», fragte er kopfschüttelnd und knirschte mit den Zähnen.
    Sie versuchte es mit einer anderen Taktik. «Dann frage ich dich ab», bot sie an, um die Paranoia zu zügeln, ehe sie sich in ungebremster Wut entlud.
    «Na toll!», sagte er. «Falls es eine Frage gibt, in der es darum geht, wie man Hintern wäscht, gebe ich Bescheid.»
    «Ich habe letzten Sommer viele der Bücher gelesen, die du benutzt», sagte sie, obwohl sie wusste, dass ihn das wütend machte, aber nach dem abwertenden Kommentar über ihren Beruf war ihr das egal. Er war es gewesen, der ihr zum Wohle des Familienlebens das Medizinstudium aus- und eine Ausbildung zur Krankenschwester eingeredet hatte. Arschloch. In dem Augenblick, als er dazu ansetzte, etwas zweifellos Gemeines und Verletzendes zu sagen, fing das Baby an zu schreien. Er blieb wie erstarrt stehen und hielt sich die Ohren zu.
    «Wieso konzentrierst du dich nicht einfach darauf, dieses schreiende Kind zu beruhigen? Vielleicht solltest du zur Abwechslung darüber mal ein paar Bücher lesen, denn seien wir mal ehrlich: Das Talent dafür, eine gute Mutter zu sein, ist dir mit Sicherheit nicht in die Wiege gelegt worden!», sagte er, zufrieden, weil es nichts gab, mit dem er sie mehr hätte treffen können.
    «Wie nett! Du bist ein Arschloch, weißt du das?», sagte sie und verbot sich innerlich, zu weinen.
    «Ich habe in einer Woche Examen, Lil! Mir fällt nicht mal mehr mein eigener Name ein, ganz zu schweigen davon, was zum Teufel noch mal die Pleura parietalis ist», schrie er und knallte das Buch an die Wand.
    «Besteht irgendeine Chance, dass du für ein paar Tage einfach mal vergisst, wo wir wohnen?»
    Damals war es das erste Mal gewesen, dass er sie an den Haaren gepackt und gegen die Wand gepresst hatte. Er hielt sie dort vielleicht ein oder zwei Minuten lang fest und atmete dabei langsam und regelmäßig ein und aus, in dem verzweifelten Versuch, sich zu beruhigen. Als er sie losließ, drehte sie sich langsam zu ihm um, voller Angst vor dem, was als Nächstes käme, aber er hatte sie nur seltsam traurig angesehen.
    «Du machst mich kaputt», hatte er gesagt und war zur Tür hinausgegangen.
    Declan Donovans Charakter hatte schon immer sehr dramatische Züge besessen. Aus ihm wäre mit Sicherheit ein guter Schauspieler geworden; den Bösewicht hätte er jedenfalls sehr überzeugend verkörpert. Lily ließ das Baby schreien, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, setzte sich an den Küchentisch und starrte die Tasse an. Sie hatte Angst, sie hochzunehmen, denn als Angst und Schock nachließen, fingen ihre Hände an zu zittern, ihr wurde das Herz eng in der Brust, und ihre Augen brannten. Nach ein paar Minuten stillen Kummers klatschte sie in die Hände und sagte zur Wand: «Die Pleura parietalis ist das Rippenfell, das die Brusthöhle von innen auskleidet, Arschgesicht.» Es dauerte eine Weile, bis ihr Herzschlag sich beruhigte und das Zittern aufhörte, aber sie weinte nicht. Stattdessen lächelte sie, und das aus zwei Gründen. Erstens: Sie wusste, was die Pleura parietalis war. Und zweitens: Ihre einzige echte Freundin Eve hatte Declan bereits an dem Tag, als sie ihn kennenlernten,

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