Niemand kennt mich so wie du
gelungen, und als dieses Lächeln das Gesicht ihrer Mutter zum Strahlen brachte, war es um Lily geschehen. Von dem Zeitpunkt an tat sie alles, was in ihrer Macht stand, um ihre abweisende Mutter zufriedenzustellen. Was sie tat, war aufs sorgfältigste durchdacht und mit unerschütterlicher Ruhe ausgeführt. Scheitern war keine Option, und weil sie ein kluges kleines Ding war, flogen ihr die guten Noten wie von selbst zu. Das wiederum verschaffte ihr die Zeit, die sie benötigte, um auch auf anderen Gebieten zu glänzen, und all das in der Absicht, es einer Frau recht zu machen, die sich im Grunde für all das nicht interessierte. Lilys Erfolge wurden bald langweilig, und – schlimmer noch – sie erinnerten ihre Mutter an das erfolgreiche Leben, das sie selbst hätte führen können, anstatt die geächtete, unterbezahlte, Teilzeit arbeitende, alleinerziehende Mutter zu sein, die sie wider Willen geworden war. Dabei versuchte May sogar, eine gute Mutter zu sein. Lily war immer wunderhübsch anzusehen. Sie wurde gut ernährt, und ganz egal, wie wenig Geld auch in der Schuhschachtel sein mochte, die ihre Mutter in ihrem Schrank versteckte, Lily durfte immer an allem teilnehmen, nach dem ihr der Sinn stand. May wollte nur das Beste der Welt für sie – sie konnte nur einfach die Enttäuschung und den Schmerz darüber nicht verwinden, dass sie ihre eigene Welt an Lily verloren hatte. Sie hatte Lily nie erzählt, dass sie im vierten Monat versucht hatte, sich die Treppe hinunterzustürzen, oder dass sie im sechsten Monat in der heißen Badewanne eine Flasche Schnaps getrunken hatte. Ab und zu entfuhr ihr widerwillig die Bemerkung, Lily sei definitiv eine Kämpferin, und sie gab häufig dem Bedauern Ausdruck, dass sie Lily nicht zur Adoption freigegeben habe. Sie habe es nur deshalb nicht getan, weil sie sonst für die Dauer der Schwangerschaft ins Kloster hätte gehen müssen und weil sie schlimme Gerüchte über die Dinge gehört habe, die den bedauernswerten Mädchen dort angetan wurden.
«Dabei wären es nur ein paar Monate gewesen. Ich hätte es überstanden, und glaube mir, du wärst mit Sicherheit auch besser dran gewesen», sagte sie einmal, als sie betrunken und verzweifelt war, weil wieder mal irgendein Kerl sie einfach so hatte sitzenlassen. «Und eines Tages, wenn du etwas größer gewesen wärst, hättest du an meiner Tür geklingelt, um dich bei mir zu bedanken, und ich hätte dich willkommen geheißen, und wir hätten über unser wunderbares Leben gesprochen und wären wieder auseinandergegangen.»
Lily wienerte die Anrichte, bis sie glänzte. Sie neigte prüfend den Kopf, um im Glanz des Sonnenlichts, das durch das große Fenster zu dem gepflegten Garten fiel, mögliche Flecken auf dem Marmor aufzuspüren. Die Fläche war makellos, und sie konnte mit den Betten weitermachen. Ab dem nächsten Tag würde sie wieder eine Woche lang arbeiten – sie hatte wechselweise eine Woche Dienst und eine Woche frei –, und deshalb war dies ein arbeitsreicher Tag. Das Haus hatte blitzsauber zu sein, und sämtliche Gerichte für die kommende Woche mussten gekocht, portioniert und eingefroren werden. Declan bestand darauf, um spätestens 19.30 Uhr zu Abend zu essen, und sie kam erst um kurz nach 20 Uhr nach Hause. Der Fairness halber sollte erwähnt werden, dass Lily von Anfang an immer darauf bestanden hatte, selbst zu kochen, und je nachdem, worauf er an dem jeweiligen Abend Lust hatte, konnte es sein, dass er bis 22 Uhr auf sein Essen warten musste. Das konnte einfach nicht funktionieren.
Im Kopf erstellte Lily eine Liste der Dinge, die sie brauchen würde, um ihre Familie in der kommenden Woche zu verpflegen. Als Krankenschwester arbeitete sie jeden Tag von 7.30 bis 19.30 Uhr, was eine militärisch präzise Haushaltsführung notwendig machte, und im Laufe der Jahre hatte sie erreicht, dass es alles in allem rund lief. Natürlich war es hart, aber Lily hatte schon in sehr jungen Jahren gelernt, dass die wertvollen Dinge im Leben nicht einfach zu haben waren.
Früher, als die Kinder noch klein waren, war es zwischen ihr und Declan wegen ihres Jobs oft zum Streit gekommen. Als er schließlich sämtliche Examen bestanden hatte und am Regional Hospital in Cork als Assistenzarzt anfing, bedrängte er sie, ihre Stelle im Bons Secours Hospital um die Ecke aufzugeben. Bis zu dem Zeitpunkt hatte sie die Familie durchgefüttert, und es war wenig hilfreich gewesen, dass Declan Cork hasste und ihr Aufenthalt dort
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