Niemand kennt mich so wie du
und es gelang ihr stets, dafür zu sorgen, dass ihr Gegenüber sich besser fühlte, fröhlicher war und wieder neuen Mut schöpfte, mochten die Patienten auch noch so traumatisiert oder ängstlich sein.
Lily Donovan war eine hervorragende Krankenschwester. Ihr Traum, Ärztin zu werden, löste sich in dem Augenblick in Luft auf, als sie einwilligte, Declan zu heiraten. Ganz unabhängig von der Tatsache, dass sie überdurchschnittlich intelligent war und ein Medizinstudium im Schlaf gemeistert hätte, wurde Lily schon sehr früh klar, dass sie zur Krankenschwester berufen war. Dieser Beruf passte perfekt zu ihrer fürsorglichen, kontaktfreudigen, perfektionistischen, kontrollierenden, herzlichen und großzügigen Persönlichkeit. Sie erkannte, dass sie sich nur deswegen für Medizin interessiert hatte, um bei Declan zu sein und weil Schüler mit ihren Noten nun mal dazu ermutigt wurden, sich in diese Richtung zu orientieren. Ehe sie mit vierzehn sämtliche Prüfungen mit Bestnoten absolvierte, wollte sie immer Kosmetikerin werden, und wenn sie ehrlich war, interessierte sie das immer noch. Sie war süchtig nach Frauenzeitschriften, sie liebte Frisuren und Make-up, und hätte sie noch mal von vorne anfangen können, hätte sie sich wohl für einen Beruf in diesem Bereich entschieden – Stylistin in der Modebranche. Trotz ihrer unerfüllten Ambitionen überließ sie das Aufschneiden von Menschen gerne einem Mann wie Declan, der zwar meisterhaft mit dem Skalpell umgehen konnte, sich am Krankenbett aber verhielt wie ein Holzklotz. Er rettete zwar Leben, doch Lily war diejenige, die die ersten Tage nach einer OP wieder lebenswert machte, und darauf war sie stolz. Außerdem hatte ihre Mutter ihr immer schon gesagt, dass sie auf sich allein gestellt sein würde, sobald sie achtzehn sei. Die Uni kostete Geld, und ein Medizinstudium dauerte lang. Sie waren beide finanziell von ihren Eltern abhängig. Eine Ausbildung zur Krankenschwester würde dafür sorgen, dass sie schneller verdiente. Außerdem war es schon immer ihr Wunsch gewesen, Kinder zu bekommen, und ein Medizinstudium hätte bedeutet, auch damit länger warten zu müssen, als sie wollte. Es war alles sehr vernünftig gewesen.
Lily hatte sich immer danach gesehnt, Teil einer Familie zu sein. Als sie fünf Jahre alt war, fragte sie ihre Mutter, ob sie nicht noch ein Brüderchen oder Schwesterchen haben könne.
«Lieber lasse ich mich von einem Bus überfahren», lautete die Antwort ihrer Mutter, und damit war die Diskussion beendet.
Lily war ihrem Vater im Laufe der Jahre ein paarmal begegnet. Er hatte sie zweimal in Irland besucht – beide Male nur für wenige Stunden, obwohl er jeweils für eine ganze Woche im Land war. Mit sechzehn hatte sie einen Sommermonat in Griechenland verbracht, bei ihrer Großmutter, die fast kein Englisch sprach, bei der Frau ihres Vaters und deren drei Kindern. Ihr Vater hatte die Seefahrt an den Nagel gehängt und war Fischer geworden. Er verschwand manchmal tagelang, und wenn er wiederkam, sprachen sie fast gar nicht miteinander. Es war ein langer Monat, und als er vorbei war, war Lily froh, endlich abreisen zu dürfen, und zwar für immer. Sie beneidete Eve um eine Mutter und einen Vater, die sich liebten und die, viel wichtiger, Eve liebten und sie wollten. Sie beneidete Eve um ihren netten, süßen, lustigen, coolen Bruder Clooney. Als Eves Mutter krank wurde, fühlte Lily sich schrecklich, weil sie eine Zeitlang glaubte, die Krankheit wäre das Resultat ihrer Eifersucht. Wieso hat Eve eine tolle Mum und einen tollen Dad, die sie lieben, und dazu noch einen tollen Bruder und ich nicht? Neid war eine Todsünde, und sie betete darum, dass Gott Mrs. Hayes rettete und sie selbst damit vor der Hölle bewahrte.
Lilys Mutter redete andauernd von der Hölle. Alles, was sie tat, ob es der Abwasch war oder ob sie sich versehentlich den Zeh anstieß, bot sie als Buße für ihre Sünden an. Lily wuchs in einem sehr frommen Haushalt auf. Ihre Mutter war in Ungnade gefallen, weil sie Lily zur Welt gebracht hatte, und sie verbrachte Lilys Kindheit damit, für ihre furchtbare Sünde zu büßen. Sie hatte Lily oft erzählt, dass sie zu drei Priestern gehen musste, ehe sie einen fand, der bereit war, sie zu taufen. Lily fand nie heraus, ob ihre Mutter gelogen hatte, um ihr ein schlechtes Gewissen zu machen, denn außer ihr schien niemand damit Schwierigkeiten zu haben, sein uneheliches Kind taufen zu lassen.
«Aber ich war beharrlich, um
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