Niemand lebt von seinen Träumen
sich schon seit langem wünschte.
Dieser Dr. Ewald Schoffel war auserkoren worden, im Hause der Breischlags-Nette deren Nichte zu betreuen. Nette war auf ihn gekommen, weil er erstens gute Manieren hatte, zweitens leidlich aussah, drittens noch das beste Vorleben von allen einheimischen Männern besaß und letztlich auch in geldlicher Hinsicht von Haus aus sehr gut gestellt war. Der alte Schoffel hatte sogar vor ungefähr 35 Jahren einmal ein Auge auf Nette geworfen, und es ging die Sage, daß es sogar eine Liebesliaison gewesen sei, die nur deshalb in die Brüche ging, weil Breischlags-Nette dem Schoffelbauern sagte, daß – wenn man heiratete – sie allein der Herr im Hause sei!
Da hatte der Schoffel schnell das Weite gesucht und nach einem Jahr eine biedere Bauerntochter auf seinen Hof geführt, die zwar nicht den Geist von Tante Nette, dafür aber zwei starke Arme zum Arbeiten besaß und den Hof in Schwung brachte. Sie hatte dem Schoffelbauern zwar nicht gesagt, daß sie der Herr im Hause sein wollte, aber nach zwei Jahren schon regierte sie unumschränkt – und Schoffel zog die Schuhe draußen aus, wenn er etwas später als erlaubt aus dem Wirtshaus nach Hause schlich. Man sieht daraus, daß sich auf der Welt doch alles irgendwie gleicht, nur daß die Anzeichen anders sind. Und das ist gut so, denn in unserem Leben spielt die Verpackung eine große Rolle … bei der Schokolade, den Zigaretten und den Frauen!
Susanne ahnte nichts von ihrem zweifelhaften Glück, als am nächsten Abend Tante Nettchen in der großen Bauernstube mit dem breiten Kachelofen in der Ecke den Tisch deckte. Neben Enzian – Knecht Sepp strich verdächtig um den Krug herum – und einer Schüssel Schmalzgebäck stellte sie Gläser für Wein auf das weiße Leinentuch, das sie über den Tisch gebreitet hatte.
»Wir bekommen Besuch?« fragte Susanne.
»Ja, ein Dr. Schoffel.«
»Au je!« brummte Sepp. Tante Nette sah den Knecht so strafend an, daß dieser schnell verschwand und hinauf in seine Kammer stolperte, wo er einen ebenso großen Krug Enzian aus dem Wäscheschrank holte, mit dem er sich grunzend ins Bett verzog.
Gegen acht Uhr abends erschien Dr. Schoffel in einem dunklen Anzug und mit einem großen Strauß Buschrosen, die ihm Vater Schoffel für Tante Nettchen mitgegeben hatte. Warum er eingeladen worden war, konnte sich keiner der Schoffelfamilie denken. Vater Schoffel hielt mit seinem Sohn vor dessen Aufbruch zu diesem mysteriösen Abendessen eine lange Beratung ab, bei der man aber zu keiner Einigung kam.
»Vielleicht will sie dich aushorchen, wie es bei uns ist«, sagte der alte Schoffel. »Du sagst nichts, verstanden. Alles geht gut, sagst! Vater geht's gut, Mutter geht's noch besser. Der Hof hat keine Schulden! Sonst sagst du nichts.«
Mit solchen Ermahnungen gespeichert stand der Herr Referendar nun vor der Tür und zog an der Schelle, die blechern durch das Haus schepperte.
Tante Nette machte selbst auf, drückte ihrem Gast herzlich die Hand und nahm ihm den Hut und die Blumen ab.
»Ach, was für schöne Rosen!« sagte sie laut. »So was wächst auf dem alten Schoffenhof?«
»Zentnerweise«, sagte Schoffel und wurde rot.
Er wurde von Nettchen in die Bauernstube geschoben und sah sich plötzlich Susanne gegenüber. Diese trug ein Dirndlkleid, das Mieder über der straffen Brust war eng geschnürt und unterstrich ihre gute Figur. Unter dem weiten Rock sahen ihre schön geformten Beine hervor. Das Haar umrahmte mit lustigen Locken das vom Sonnenbaden bereits etwas gerötete, liebliche Gesicht.
Dr. Schoffel blieb ruckartig stehen. Mit allem hatte er gerechnet, bloß nicht mit einem solch entzückenden Mädchen bei der Breischlags-Nette.
Zum Teufel, warum hatte der Vater ihm nie etwas davon erzählt. Er machte kehrt, holte den Rosenstrauß aus der Vase, die Nette auf der Dielenkommode stehen gelassen hatte, und stürzte ins Zimmer zurück. Er überreichte Susanne den wassernassen Strauß und verbeugte sich etwas linkisch.
»Ich bin völlig außer Fassung«, sagte er stammelnd. »Frau Breischlag hat mir Ihre Anwesenheit stets verschwiegen. Das kommt mir so vor, als wenn man der Kunstwelt bewußt ein wertvolles Gemälde unterschlagen hätte.«
Susanne gab ihm die Hand und lächelte schwach. Wer mag das sein, dachte sie bloß. Was soll er heute abend hier? Ist er ein Aufkäufer von Tantes Klöppelarbeiten? Sie zeigte auf die große gepolsterte Eckbank und meinte:
»Setzen wir uns, Herr …«
»Ewald Schoffel, Dr.
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