Niemand lebt von seinen Träumen
Spezereienhändler traf: »Paß einmal auf, wos daraus wird …«
Es wurde nichts daraus, zum Leidwesen Tante Nettchens. Am fünften Tag, der Abfahrt Franks, erschien Susanne nicht zur Verabredung. Unruhig rannte Dr. Schoffel hin und her, schaute ins Tal und setzte sich dann an einen Hang in den Schnee, ziemlich vergrämt.
Susanne saß währenddessen allein auf einer Bank im nahegelegenen Wald. Jetzt fährt er, dachte sie und weinte haltlos, verbarg das Gesicht in ihren Händen, und ihr Körper wurde vom Schluchzen geschüttelt. Ich werde ihn nie wiedersehen, ich fühle das, durchfuhr es sie, und dieser Gedanke war so schmerzhaft, daß sie leise aufschrie und beide Hände gegen den Mund preßte.
Frank, dachte sie nur, mein lieber, lieber Frank …
Nun bist du fort und bald drüben im fernen Amerika, und unser Traum vom Glück wird ein Traum bleiben – ein ewiger, seliger Traum der Jugend. Doch von Träumen kann man nicht leben.
Stundenlang saß sie auf dieser einsamen Bank und weinte. Erst gegen Abend ging sie zurück ins Haus und ohne mit Tante Nette zu sprechen, rannte sie in ihr Zimmer. Dort schloß sie sich ein und gab auf alles Klopfen keine Antwort.
Zwei Tage später fuhr sie wieder ab. Nach Köln zurück. Tante Nette stand am Zug und heulte laut. Dr. Schoffel betrank sich vor Kummer sinnlos. Und von Köln aus schrieb Susanne den ersten Brief.
4
Woche für Woche gingen nun Briefe voller Zärtlichkeit und Liebe hinüber und herüber. Frank berichtete voller Begeisterung über sein neues Arbeitsfeld, über das herrliche freie Leben in den USA, über die nette kleine Wohnung, die er eingerichtet hatte, über sein gutes Gehalt, über den neuen Wagen – einen Studebaker – und über die schmerzhafte Sehnsucht nach Susanne. Diese hatte optimistisch vor einiger Zeit einen Englischkurs belegt. Sie wollte mit perfekten Sprachkenntnissen den Start in der Neuen Welt beginnen. Doch dem guten Willen zum Trotz – was immer die beiden Liebenden zur Besiegelung ihres Glücks unternahmen, immer und immer wieder verzögerte sich die Einreise, die Papiere lagen monatelang beim Generalkonsulat in Frankfurt, kamen wegen kleiner Formfehler zurück, wurden geprüft und von Instanz zu Instanz geleitet … und Susanne wartete und Frank schrieb Brief auf Brief. Es schien nichts zu helfen. Alles deutete darauf hin, daß Susanne in Deutschland bleiben mußte. Die Einwandererquote sei zur Zeit erfüllt, hieß es knapp und präzise.
Von dieser Nachricht ab begann der Kampf Susannes und Franks gegen das Gesetz und die Bürokratie.
»Es gibt kein Gesetz der Welt, das Liebenden verbietet, zueinander zu kommen«, schrieb Frank Barron wütend in seinem letzten Brief. »Es ist das Urrecht des Menschen, sich zu lieben! Davor zerbrechen alle Schranken und Bestimmungen! Und du kommst in die USA, auch wenn tausend Gesetze nein sagen! Du mußt einfach kommen, weil ich es sonst ohne dich hier nicht mehr aushalte. Eine entzückende Wohnung, ein Auto, eine gute Stellung, eine Zukunft … alles für dich! Und du darfst nicht kommen? So etwas gibt es gar nicht! Das lasse ich einfach nicht länger zu. Und wenn hundert Generalkonsulate dagegen sind und die Einwandererquoten für zehn Jahre erschöpft sind. Nächstes Jahr sollen die Quoten angeblich erhöht werden – nächstes Jahr –, so lange kann ich nicht auf dich warten, meine geliebte Susanne. Ich halte es jetzt schon nicht mehr aus vor Sehnsucht nach dir. Verlier den Mut aber nicht, mein Liebes. Mir wird schon etwas einfallen. Du kommst … und wenn wir auf einem Ruderboot über den Atlantik paddeln müssen …«
Dieser Brief hatte Susanne bewogen, ihren Koffer zu packen. Ja, und nun war sie in Bremerhaven und saß einsam in einer düsteren Hafenspelunke, mit einem kleinen Pappköfferchen bewaffnet. Ein Schiff, das nach New York fuhr, lag draußen an der Mole … die weite Welt tat sich vor ihr auf. Und doch waren die unsichtbaren Schranken anscheinend unüberwindbar. Kein Einreisevisum und deshalb auch keine Schiffskarte. Überall Verbote, überall ein Halt. Susanne Braun strich sich energisch die Locken aus der Stirn. – Gerade deshalb mußte es gelingen!
Wie sagte man doch in Bayern – Man muß nur wollen müssen!
Plötzlich stutzte sie und fand aus ihren Gedanken wieder in die Wirklichkeit zurück. Da stand etwas in der Zeitung, eine Annonce, die sie magisch anzog:
›Auswanderer! Besorge jedes Visum in alle Staaten! Auswandererbüro Franz Sabelmann, Bremerhaven, Am Nordkai
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