Niemand lebt von seinen Träumen
versucht. Männer, die stark und widerstandsfähig wie Bäume waren. Als sie zurückkamen, mußten sie im Hospital wie Säuglinge wieder aufgepäppelt werden …«
»Männer –« Susanne machte eine wegwerfende Handbewegung. »Frauen behandelt man anders. Bis jetzt hat noch keine Frau versucht, illegal nach Amerika zu kommen …«
»Das denken Sie sich!« Sabelmann schüttelte den Kopf. »Diese Jugend von heute. Denkt, mit Lippenstift und Soir de Paris-Parfüm, Sex-Appeal und Arwa-Strumpfbeinen könne sie die ganze Welt erobern. Auch Frauen wollten schon als blinde Passagiere in die Staaten hinüber, in Coney Island gingen sie an Land und kamen sofort ins Gefängnis. Lassen Sie das lieber sein, Fräulein. Warten Sie lieber, bis die Quoten wieder berechnet werden.«
»Bis Ende 1951?«
»Genau!«
»Ich denke nicht daran!«
Susanne erhob sich von dem wackligen Stuhl und nickte Sabelmann zu. Eine wilde Entschlossenheit leuchtete aus ihren braunen Augen. Ihr ganzes Wesen sprühte voller Unternehmungsgeist und festem Willen.
»Auch Sie können mir nicht helfen! Schade! Dann muß es eben anders gehen …«
Susanne ging wieder den dunklen Flur entlang und hörte Franz Sabelmann hinter sich herwatscheln. Als sie die Tür öffnete und ins Treppenhaus trat, hielt Sabelmann sie noch einmal zurück.
»Wenn Sie wirklich auf – anderem Weg nach Amerika kommen, dann schreiben Sie mir bitte eine Ansichtskarte«, sagte er mit einem leicht ironischen Ton. »Sie hätten dann nämlich etwas geschafft, was noch keinem Mädchen vorher gelungen ist.«
Ja, und dann stand Susanne Braun wieder allein und hilflos mit ihrem Pappköfferchen auf der Straße, sah hinüber zum Hafen, wo die Kräne hin und her schwenkten, die Schiffssirenen heulten und die Motoren dröhnten.
Dort hinten, hinter dem Dunst, beginnt die See, dachte sie voller Erregung. Dort ist die Freiheit, dort liegt Amerika, dort wartet Frank auf mich …
Ich muß hinaus – ich muß hinüber in die Staaten!
Das schmucke Schiff ›Giesela Russ‹ fiel ihr wieder ein. Es lag draußen an der Mole und fuhr nach New York. In drei Tagen sollte es auslaufen.
Drei Tage! Drei Tage Wartezeit! Drei Tage zum Überlegen, zur Ausführung eines tollkühnen Planes. Drei Tage – ein Geschenk des Schicksals.
Drei Tage für den Sprung in ein neues Leben …
Unschlüssig bummelte Susanne die Kaimauer entlang bis zum Becken, von dem aus sie die ›Giesela Russ‹ sehen konnte. Dort lag sie, ein weißes Schiff, typisch in seiner Form als kombinierter Fracht- und Passagierdampfer, mit hohen Aufbauten, Zwischendeck, Oberdeck, Laderäumen und den Mannschaftslogis. Die helle Sonne spiegelte sich in den blanken Bullaugen. Kleine Motorboote flitzten geschäftig um das Schiff herum und hievten an Tauen und Kränen Proviant an Bord.
Noch einmal umfaßte Susanne dieses Bild mit einem Blick, dann wandte sie sich ab und verließ den Hafen. In einer stillen Straße mietete sie in einer Privatpension ein Zimmer für drei Tage und warf sich erschöpft und verzweifelt auf die Schlafcouch.
Es ist wie verhext, dachte sie. Es will einfach nicht glücken, schwarz nach Amerika zu kommen. Schon einmal habe ich einen Anlauf gemacht, und er mißglückte.
Das war vor einem Vierteljahr. In Hamburg.
Sie mußte lächeln, als sie jetzt daran dachte, wie ungeschickt, ja dilettantisch sie sich angestellt hatte.
Damals lag im Hamburger Hafen, an Pier sieben, ein chilenisches Schiff, das Asbest und Salpeter nach Deutschland gebracht hatte und nun mit Landmaschinen zurückfuhr. Es sollte, ehe es den Panamakanal durchkreuzte, in New York und in New Orleans anlegen und Fracht löschen. Diese Information hatte Susanne in einem Schiffsbüro erfahren können, bei dem sie sich als Sekretärin einer Handelsfirma ausgab.
New York, dachte sie damals. Wenn ich in New York an Land gehe, vielleicht in einer Kiste von Bord gehievt werde, dann kann ich sofort Frank benachrichtigen, damit er mich abholt und so lange versteckt, bis der ganze Behördenkrieg erledigt ist.
Am Abend vor der Abfahrt – das Schiff sollte morgens um sechs Uhr auslaufen – schlich sie sich an Bord, indem sie keck über den Laufsteg in das Schiff stieg, ein Kopftuch um die Haare gebunden, eine alte Einkaufstasche auf dem Arm, ausstaffiert wie eine Fischersfrau, die etwas auf dem Schiff zu besorgen hatte. Die Zollbeamten, die am Kai standen, beachteten sie nicht, und auch die Matrosen, die vom Landgang zurückkamen, gingen an ihr vorbei und
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