Niemand
loswerden. Schnell.
Da stand sie, hässlicher als alles, was er bisher gesehen hatte. Neugierig sah sie ihn an. Hatte sie denn keine Angst? Ach, sie sah ihn ja gar nicht. Diese Nina. Er schauderte. Am liebsten wäre er weggelaufen, aber er war der Vater des Herrschers und der zukünftige Machthaber des Landes – natürlich erst, wenn er Niemand überlistet hatte.
Er setzte sein schönstes Lächeln auf, das ihm eine rührselige Stimme verlieh, und überdeckte sein Odeur mit einem undefinierbaren Parfum. Er selbst mochte seinen Eigengeruch, doch er wusste, dass andere ihn abstoßend fanden. Aber war das sein Problem? Sollten sie ihre Nasen verstopfen, damit sie ihn nicht wahrnahmen. Wäre ihm eh das Liebste gewesen. Noch besser: wenn er sie alle nicht mehr riechen musste. Er hasste den Gestank der Niemandsländer. Und noch mehr die Neugier, die ihm diese Nina entgegenbrachte. Was war das nur für ein Kind? Kein Wunder, dass sie hier gelandet war, die Eltern hatten sie vermutlich ausgesetzt. Wer wollte so etwas haben?
»Mein liebes Kind«, empfing er sie. »Es ist uns hier allen eine Ehre, dich bei uns zu haben. Wie geht es dir? Du hast bestimmt Hunger?«
»Glaub ihm kein Wort«, flüsterte Niemand, doch Niemand Sonst hatte es vernommen. Seine Hand zuckte, er wollte seinem Sohn eine schmerzhafte Kopfnuss verpassen, besann sich jedoch eines Besseren: »Na, na, mein Sohn, wer wird denn so schlecht gelaunt sein?«
Niemand stellte ein Problem dar. Er musste verschwinden, aber Niemand Sonst durfte ihn nicht töten, und doch sollte er als billige Edelsteinimitation nicht einsehbar unter der Sitzfläche des Throns kleben. Da gehörte er hin, der kleine Niemand. Er würde seinen Bruder zum Mord anstiften und es so aussehen lassen, als hätte er Niemand retten wollen. Leider verstarben dabei Sohn und Bruder. Genial! Niemand Sonst war ein Genie!
»Guten Tag«, sagte Nina, und Niemand Sonst zuckte angeekelt zusammen. Diese Stimme. Klar und lieblich. Schauderhaft.
Nun streckte sie ihm auch noch die Hand hin. Wer hatte dieses Gör erzogen?
Er musste all seine Kraft zusammennehmen, um sich zu überwinden, die Hand des Mädchens zu schütteln. Ihm wurde dabei speiübel, aber er verströmte keinen verräterischen Duft.
»Niemand hat mir schon viel von Ihnen erzählt«, hallte es aus dem Mund des Mädchens.
»Oh ja, Niemand und ich, wir sind ein Herz und eine Seele. Wo hast du dich nur rumgetrieben? Ich habe mir solche Sorgen gemacht.«
Niemand antwortete nicht.
30.
Lilly hatte sich erst versteckt, als die Rote Armee Niemand und Nina erreicht hatte, und war dann einige Meter weit gelaufen, bis sie auf Boden gelangte, der nicht rot durchtränkt worden war – nicht weit genug, um Niemand Sonst nicht mehr zu riechen, aber nah genug, ihn zu belauschen. Bemerkte Nina nicht, was hier gespielt wurde? Verfügten Mädchen über keinen Geruchssinn, der die penetrante Mischung von Niemand Sonst wahrnahm, die aus Missgunst und Hass, Neid und Widerwillen bestand? Sicher, es gelang ihm gut, sie mit fruchtigem Odeur zu überdecken, aber für Lillys empfindliches Näschen konnte er sich nicht verstellen. Sie hatte geahnt, dass er etwas Übles im Schilde führte, nun wusste sie es. Aber er war ein starker Gegner. Nicht allein seine Unsichtbarkeit war eine hinterhältige Waffe, die Rote Armee folgte ihm und einige unangenehme Zeitgenossen im Niemandsland würden seine Befehle entgegennehmen, wenn er ihnen den richtigen Lohn versprach.
Alleine hatte Lilly keine Chance. Wen sollte sie um Hilfe bitten? Lilly hatte die Gesellschaft der Niemandsländer stets gemieden. Aber auch sie hatte das Flüstern des Windes vernommen und spürte das imaginäre Band, das ihr um den Hals gebunden worden war und sie zum Marktplatz zog.
Niemand verlangte nach einem Namen.
Niemand verlangte nach einem Namen.
Lilly widersetzte sich nicht mehr, sie rannte in die Richtung, in die alle Niemandsländer liefen.
Schnell!
******
Kaum wurde es brenzlig, machte sich Lilly davon. Niemand hatte geahnt, dass die zickige ABK verschwand, sobald sie auf seinen Vater trafen. Sie kämpfte gegen E-Mann-Zehen und riss Hütten ab, aber sie fürchtete sich vor allem, was größer und bedrohlicher war als sie. Und obwohl sie Niemand Sonst nicht sah, nahm sie ihn wahr. So wie er selbst seinen Vater roch. Und er hasste diesen Geruch. Niemand wusste, dass er seine Freundlichkeit nur vortäuschte.
»Dein Vater ist doch gar nicht so schlimm«, flüsterte Nina und kam
Weitere Kostenlose Bücher