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Niemand

Niemand

Titel: Niemand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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erschien?
    Sie wollte ihn nicht enttäuschen. Er brauchte einen Namen. Wer keinen Namen hatte, war und blieb ein Niemand. Austauschbar. Und das sollte er nicht sein.
    Sie hatten den Eingang des Schlosses erreicht, durch den jedoch keine stattlichen Pferde oder emsige Frauen, die Körbe, gefüllt mit Obst und Gemüse trugen, hindurchliefen. Ein schwarzes Loch gähnte Nina an, das ihr die Kehle vor Furcht zuschnürte. Sie schluckte und dachte an den toten Trauerkloß.
    Die Rote Armee bezog Stellung und färbte das schwarze Burggestein dunkelrot.
        

33.

    Niemand könnte weglaufen. Nur in diesem einen und vielleicht allerletzten Moment. Doch er hätte Nina mit sich reißen müssen. Und er wusste nicht, ob sie schnell genug reagierte. Und früher oder später würde sein Vater sie eh aufspüren lassen.
    Irgendwer im Niemandsland würde sie verraten, wenn das Versprechen seines Vaters groß genug war, größer als ein von Fräulein Klimper erfüllter Wunsch. Ein sicheres Versteck gab es nur für kurze Zeit, damit hatte Niemand Erfahrung gemacht. Es sei denn, Niemand übertrat die Grenze, die Nina vor einer gefühlten halben Ewigkeit überwunden hatte. Er hätte sie sofort zurückschicken müssen. Dann hätte er nie den mentholigen Mut auf der Zunge geschmeckt und nie gewusst, wie leckerlieblichzuckersüß ein Mädchen roch. Sein Mädchen?
    »Bitte, nach euch«, sagte Niemand Sonst.
    Bitte. Ein Wort, das seinem Vater noch nie über die Lippen gekommen war. Nina zögerte, als ahnte sie die Falschheit. Niemand drückte ihre Hand und gab ihr so zu verstehen, mutig zu sein, obwohl er sein Zuhause hasste und sie niemals freiwillig hierher gebracht hätte. Nun blieb ihm keine Wahl.
    Du hast eine, schrie eine Stimme in ihm.
    Aber welche?, brüllte eine andere innere Stimme voller … Nein! Er durfte seine Verzweiflung nicht ausbrechen lassen! Sie nützte ihm nichts.
        

34.

    Kreischen und Stampfen, Grummeln und Schnaufen, Pupsen und Grunzen, Hämmern, Geifern und Graulen, Grölen, Flöten, Orgeln, Stöhnen, Singen, Trällern, Lachen, Rauschen, Blöken und Wispern, Schluchzen, Gickeln, Säuseln, Gluckern und Tröten, Schniefen, Zischen und Zwitschern, Schnattern und Labern, Gackern, Singen und Summen, Tuscheln und Flüstern …
      
    Der Marktplatz vibrierte im Takt der Geräusche. Noch immer strömten Niemandsländer zum Treffpunkt, den Niemand Sonst weit weg vom Schloss verlegt hatte, um an öffentlichen Bekanntmachungen nicht teilnehmen zu müssen, obwohl es im Niemandsland nie öffentliche Bekanntmachungen gab. Bis heute.
    Niemand verlangte nach einem Namen.
    Er wünschte ihn sich nicht von Fräulein Klimper, die den Trubel zum Schlafen nutzte. Nein, ein Mädchen sollte ihm den Namen geben. Eine Nina.
    Ein Wunder war dieses Mädchen, doch sie wusste es nicht. Und Niemand ahnte es nicht. Er brachte sich mit diesem Wunsch in tödliche Gefahr. Sich und das Mädchen Nina.
    Die Niemandsländer wussten das, denn die meisten lebten länger als Niemand im Niemandsland. Sie hatten miterleben müssen, zu welchen Grausamkeiten Niemand Sonst fähig war.
    Unzählige Niemandsländer hatte er töten und verbannen lassen, bis er die Lust daran verlor und nur noch eins im Sinn hatte: den Thron.
    Viele Niemandsländer kannten die Legenden, die Regeln, sie wussten, wie das Niemandsland zu einem Jemandsland wurde oder zu dem Land, das einst den Namen seines Herrschers trug. Jahrhunderte hatten sie darauf gewartet. Resigniert. Gehofft. Gebangt, getrauert und aufgegeben. Sie hatten sich verkrochen, den Kampf gescheut, die Befehle ausgeführt und später, ohne sich über die Folgen Gedanken zu machen, ignoriert. Sie waren ohne Lebenslust, gefühllos, dumm und ohne ein Dasein durch die Jahre spaziert. Der Kampfgeist hatte sie verlassen, keiner wusste, wo er Unterschlupf gesucht hatte. Wie sollten sie ohne ihn gegen Niemand Sonst antreten?
    Das Kreischen und Stampfen, Grummeln und Schnaufen, Pupsen und Grunzen, Hämmern, Geifern und Graulen, Grölen, Flöten, Orgeln, Stöhnen, Singen, Trällern, Lachen, Rauschen, Blöken und Wispern, Schluchzen, Gickeln, Säuseln, Gluckern und Tröten, Schniefen, Zischen und Zwitschern, Schnattern und Labern, Gackern, Singen und Summen, Tuscheln und Flüstern schwoll zu einer tongeschwängerten Wolke heran, die in Richtung Burg trieb.
    Das Himmlische Kind pustete in sein Goldenes Horn – doch dieser Ton vermischte sich nur mit denen im Überfluss vorhandenen. Es runzelte die Stirn, warf die langen

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