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Niemand

Niemand

Titel: Niemand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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ihm so nah, dass er ihren Atem an seinem Hals spürte.
    Niemand musste Nina in ihre Welt zurückbringen. Nur dort war sie in Sicherheit. Aber solange die Rote Armee sie fest im Griff hielt, gab es keine Chance wegzulaufen.
    ******

    Nina hatte Niemand nur gesagt, dass sein Vater nett zu sein schien, um Niemand Mut zuzusprechen – tatsächlich fand sie ihn doof. So wie sich Niemands Vater benahm, müsste er zu den Schleimscheißern gehören. Sie unterdrückte ein Kichern.
    Hier lebten nicht nur all die Wunschwesen, nach denen sich die Menschen sehnten, das hatte Nina schon kapiert. Im Niemandsland liefen die Wesen herum, die sich in ihrer Welt hinter Namen versteckten, die Arschkriecher zum Beispiel. Davon gab es viele, auch in ihrer Klasse. Lukas war so einer. Den mochte Nina überhaupt nicht. Er sah super aus, schleimte sich aber bei den Lehrern und Mitschülern dermaßen ein, dass einem schlecht wurde. Ein Wunder, dass er noch nicht auf seiner eigenen Schleimspur ausgerutscht war. Lukas gehörte auch zu den Stromschwimmern, die ihnen hier begegnet waren. Im Niemandsland erkannte sie solche Typen und konnte sie meiden, sofern Nina sie frühzeitig entdeckte.
    Sie sah Niemands Vater nicht, doch Niemand hatte mit Verachtung und Schmerz über seinen Vater gesprochen, das allein ließ sie skeptisch sein. Dazu kam diese Stimme – heimtückisch und überheblich klangen seine Worte.
    »Auf nach Hause. In unsere wohlig warme Burg.«
    Niemand schwieg weiterhin.
    Nina hätte gerne nach Niemands Hand gegriffen, aber sie fürchtete, ins Leere zu tasten und die Aufmerksamkeit von Niemand Sonst auf sich zu ziehen.
    Die Rote Armee zog sie mit, als stünde Nina auf einem Fließband, das sie durchs Niemandsland beförderte. Abspringen konnte sie nicht, denn die Rote Armee hielt ihre Füße umschlungen wie die Schnallen eines Skis. Sie war gefangen. Lilly war verschwunden, Niemand unsichtbar. Niemand Sonst irgendwo. Sie fühlte sich verlassen. Einsam.
    Doch sie wollte jetzt nicht weinen, wollte nicht nach Niemand fragen. Sie blickte noch einmal hinter sich; der Weg erhielt seine Farbe zurück, das Gras, vom Dunkelrot entfärbt, zeigte sich wieder Naturgrün, nur die Blumen blieben verschwunden. Sie kamen an Häusern vorbei, die wie übergroße Eier aussahen und unbewohnt zu sein schienen. Eines unterschied sich von den anderen: In einer riesengroßen, ausgehöhlten Banane wuchsen kahle Bäume, erkannte Nina durch die Fenster. Äste, mit Bändern bunt geschmückt, ragten aus dem Dach, den Seitenwänden und der ovalen Haustür.
    Hinter einem Panoramafenster eines quadratischen Hauses auf der gegenüberliegenden Seite saßen Hunde und Kühe auf unterschiedlich großen und farbenfrohen Stühlen. Unbeweglich. Nina fiel es schwer, ihre Neugier zu zügeln. »Werden dort Stofftiere hergestellt?«
    Niemand Sonst antwortete ihr: »Aber nein. Das ist die Schule der Doofen.«
    »Die Schule der Doofen?«, wiederholte Nina. »Das klingt nicht schön. Warum machen sie nichts? Sie reden gar nicht.«
    »Dummerchen. Hast du schon mal Doofe Kühe und Blöde Hunde reden hören? Die hocken den lieben langen Tag doof rum und sind für nichts zu gebrauchen.«
    Als wollten die Tiere demonstrieren, dass sie zu einer Regung fähig seien, erhoben sie sich, stellten sich in einer Reihe auf, stürmten aus dem Gebäude und rannten in eine Richtung, die entgegengesetzt der lag, in die Nina und Niemand von der Armee gezogen wurden.
    »Wo rennen sie hin?«
    »Das würde mich auch interessieren. Drecksack?«
    Stille.
    »Ach, der ist ja verschwunden. Niemand, du gehst ihnen hinterher. Oder nein – ich werde Überhaupt Niemand schicken.«
        

31.

    Noch nie hatte sein Vater Überhaupt Niemand vertraut. Warum wollte er ihn jetzt zum Auskundschaften hinter den Hunden und Kühen herschicken? Wo steckten die Treulose Tomate und der An-Geber, die er sonst für solche Aktionen missbrauchte? Niemand sah sich um. Alle Niemandsländer hatten sich versteckt, selbst diejenigen, die seinem Vater stets treu untergeben waren. Sogar die Klasse der Blöden aus der Schule der Doofen war aus der Starre erwacht und vor ihnen davongelaufen. Das hatte Niemand noch nie erlebt. Auch das Affentheater schien unbesetzt, als sie eben daran vorbeigekommen waren.
    Nina hätte es bestimmt gefallen. Niemand mochte die Theaterstücke der Affen. Stunden brachte er dort zu. In der Vergangenheit gehörte dieser Ort zu den wenigen, an denen er sich zu lachen getraut hatte. Spaß gehörte nicht

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