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Niemand

Niemand

Titel: Niemand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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blonden Locken keck nach hinten. Und anstatt in das Goldene Horn zu pusten, sog das Himmlische Kind daran und all das Schnattern und Labern, das Tickern und Wimmern … ein. Nur ein vorwitziger Lacher versuchte auszubüchsen, doch das Himmlische Kind wirbelte herum, sprang wie eine junge ABK auf den Baum, in dem Fräulein Klimper schlief, und schnappte sich den letzten Lacher, der sich unter einem Blatt versteckte. Die Stille gesellte sich zu ihnen, eine Verbündete.
        

35.

    Niemand rebellierte. Niemand Sonst roch zu viel Menthol und Muskat. Aber auch Erdbeergestank. Pfui Teufel! Er duldete keine Liebe, keine Gefühle und erst recht keinen Krieg gegen sich. Ein Hauch salzige Verzweiflung stimmte Niemand Sonst milde. Er musste Niemand zum Weinen bringen – aus purer Verzweiflung. Der Salzgeruch sollte das gesamte Land überdecken. Das wäre ein Fest. Für ihn. Die Verzweiflung würde sich mit ihm vermählen. Oh, wie er sie liebte, wie er sie begehrte. Gemeinsam könnten sie das Niemandsland beherrschen, welch verführerische Vorstellung.
    Niemand Sonst hatte geplant, das Vertrauen der Kinder zu erschleichen. Aber die neu entfachte Sehnsucht nach Verzweiflung vermischte sich mit seiner Ungeduld. Er änderte seinen Plan, packte Nina an den Armen, hob sie hoch – bäh, wie widerlich dieses Mädchen roch –, ignorierte Niemands Rufen und Tritte, stieß seinen Sohn unwirsch zur Seite und beförderte das stinkende Gör in das Zimmer seiner einst ach so nervigen Frau, deren Geruch dem von Nina geähnelt hatte. Niemand Sonst verschloss die Tür und spie aus.
    Da passte sie hin, und sie – dieses Kind – würde schon bald wie seine Gemahlin verenden. Dafür würde er sorgen. Er wischte sich die Hände an seinem nackten Wanst ab, nun roch er wieder appetitlich. Den Schlüssel klemmte er sich in die Falte unter seiner rechten Achsel. Ein wunderbares Versteck – nicht zu sehen, nicht zu riechen und niemals zu ertasten.
    »Nun zu dir, Niemand!«
        

36.

    »Ihr habt es gehört: Niemand will einen Namen. Einen Namen, den seine Mutter ihm nie hatte geben können!« Der Nikolaus sah besorgt aus.
    Lilly hatte endlich den Marktplatz erreicht und horchte auf. Niemands Mutter hätte Niemand beim Namen nennen können?
    »Ruhe! Der Älteste unter uns spricht.«
    Jesus trat vor, er sah wie immer mitgenommen aus. Müde blickte er die Umherstehenden an. Bevor er sprach, richtete er sein Haar und befeuchtete die Lippen. Lilly verdrehte die Augen. »Lasst uns essen und trinken. Einer von euch wird mich noch vor Sonnenuntergang verraten.«
    Der Nikolaus flüsterte ihm etwas ins Ohr.
    »Oh ja, sicher.« Er straffte seinen Körper, hob die Hände und rief: »Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!«
    Wieder beugte sich der Nikolaus zu Jesus, nun sah er nicht mehr besorgt, sondern verärgert aus. Jesus hatte viel in seinem Leben erlebt und manchmal war er verwirrt und körperlich und seelisch erschöpft. Doch Lilly fehlte die Geduld, die wurde ihr bei der Geburt nicht in den Kokon gelegt. Sie sprang auf den Baum, dessen längster Ast über Jesus hinwegreichte, und hängte sich wie eine Birne daran. Kopfüber sprach sie: »Wir haben keine Zeit für falsche Drehbücher. Niemand Sonst hat Niemand und Nina in die Burg gebracht. Er wird sie vernichten, wie er einst Niemands Mutter vernichtet hat. Wir müssen ihnen helfen!«
    Das Goldene Horn in der Hand des Himmlischen Kinds vibrierte. Alle Entrüstungen und Schimpfereien, alles Staunen und Ausrufen wollten heraus. Das Himmlische Kind hatte Mühe, das Goldene Horn unter Kontrolle zu bringen. Doch sie durften die Stille nicht verdrängen.
    »Und noch etwas«, sagte Lilly und sprang Jesus auf die Schulter, der schielte überrascht zu ihr und zerzauste ihr dann selig lächelnd das Fell. »Die Goldgelockten-Giganten-Greislinge und die siamesisch-verdrillingten Kreischzwerge wollen den Thron stehlen.«
    Das Horn zuckte nicht mehr. Alle erstarrten.
    »Oder warum seid ihr alle hier oben? Das muss euch doch klar gewesen sein!?« Lilly konnte nicht glauben, dass die Niemandsländer so dumm waren.
    Aber nein, sie waren nicht dumm, sie hatten nur verlernt nachzudenken. Sie reagierten nur, wie die Stromschwimmer.
    Das musste sich ändern.
    »Wo ist Fräulein Klimper?«, rief eine Hohle Frucht, die ein Stück höher am Baum hing.
    »Wieso? Du hast doch gar keine Wimpern!« Das stimmte. Wer hatte das gesagt?
    »Wer Wimpern hat, wünscht sich, dass Niemand Sonst

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