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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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auf der Stelle hingerissen. Er hielt ihre Hand zu lange.
    »Sie sind sehr willkommen, Miss O’Connor, sehr willkommen. Doch Carl hat wie immer nicht die ganze Wahrheit gesagt«, sagte er lächelnd und zeigte seinen Gästen mit einer Handbewegung das Haus. Dann drehte er sich um und rief in einem radebrechenden Polnisch den Schwarzarbeitern ein paar Befehle zu, wobei er Tessies Hand noch immer nicht losließ.
    »Inwiefern?« fragte sie verwirrt und machte sich verlegen frei.
    »Oh«, fuhr der Alte sichtlich aufgeräumt fort, als er langsam auf das Haus zuging, »oh, das ist sehr einfach. Carl hat nichts davon gesagt, daß Sie so außerordentlich schön sind, Miss O’Connor.«
    »Ich möchte das Kompliment damit erwidern, daß Sie für einen pensionierten operativen Spionagechef ungewöhnlich zivil aussehen«, erwiderte Tessie mit einem amüsierten Blick auf den Strohhut des Alten.
    »Tsstss«, machte der Alte mit gespieltem Ernst und sah sich um, als hätte jemand es hören können. »Das ist geheim. Ich streite alles ab, kein Kommentar. Einen Carl Hamilton habe ich nie gekannt.«
    Tessie sah Carl fragend an, doch dieser lächelte nur und zuckte die Achseln zum Zeichen, daß alles nur ein Scherz sei.
    Sie gingen um das Haus herum und setzten sich auf die Gartenterrasse. Dann holte der Alte aus dem Haus eine Karaffe mit einem unbestimmten Getränk sowie Gläser und entschuldigte sich gestenreich, daß er sich erst mal die Hände waschen müsse.
    »Das hier«, sagte Carl leise lachend, während er zwei Gläser mit dem leicht trüben Getränk füllte, »ist der selbstgemachte Cidre des Alten. Das Zeug ist durchaus trinkbar, und wenn du sagst, es sei gut, freut er sich. Wenn er heute abend aber etwas von seinem Moonshine serviert, mußt du aufpassen. Es ist das reine Teufelszeug.«
    »Brennt er eigenen Apfelschnaps?« fragte Tessie und probierte mißtrauisch den Cidre. Sie runzelte die Stirn, nippte erneut und sah erleichtert aus, als könnte sie Carls Urteil über das Getränk bestätigen.
    »Ja. Ich weiß nicht, ob er mehr auf die Qualität stolz ist oder darauf, daß es illegal ist. Du kannst ja auf die Tatsache hinweisen, daß du Juristin bist, aber im Gegensatz zu manchen anderen nicht zwischen den Geboten Gottes und den Verordnungen der Menschen unterscheiden kannst. Das wird ihn amüsieren.«
    »Ihr scheint einander sehr nahe zu stehen, ich meine, rein persönlich?« fragte sie, obwohl es sich eher wie eine Feststellung anhörte.
    »Mm, sehr nahe«, bestätigte Carl und ließ den Blick über die Rasenfläche schweifen. Diese war mit charakteristischen kleinen Erdhaufen übersät, die ihn laut auflachen ließen.
    »Das da«, sagte er und wies auf den Rasen, »ist sein ewiges Problem. Es sind Maulwürfe. Er wird sie nie los, obwohl er sie mit Gas und anderem bekämpft. Ein Spionagechef, in dessen Garten es von Maulwürfen wimmelt…«
    »Ich nehme an, er ist für dich so etwas wie ein Vaterersatz«, bemerkte Tessie, als hätte sie die Komik von Maulwürfen im Garten eines Spionagechefs nicht erfaßt.
    »Ja, das nehme ich an«, sagte Carl und hob sein Glas. »Papi, der Alte, ist pensioniert, und mich hat man inzwischen auch vom Baum gepflückt. Mach dir keine Sorgen, wir sind rein privat hier.«
    »Über deinen richtigen Vater hast du nie gesprochen. Was für ein Mensch war er?« fragte Tessie wie aus einer plötzlichen Eingebung heraus.
    »Nun«, erwiderte Carl etwas angestrengt. »Es gibt zwei Möglichkeiten, es auszudrücken. Wenn man freundlich sein will, könnte man sagen, er war ein Mensch des neunzehnten Jahrhunderts, und wenn man weniger freundlich sein will, kann man ihn einen Scheißkerl nennen. Wir sind nicht sehr gut miteinander ausgekommen. Er hat mich sogar enterbt, wie er meinte, denn er hatte von Juristerei keine Ahnung.«
    »Warum?«
    »Warum er mich enterbt hat?«
    »Nein, warum ihr nicht gut miteinander ausgekommen seid.«
    »Er war der Meinung, ich sei eine Schande für die Familie. Er hat einmal sogar vorgeschlagen, ich sollte mir einen anderen Namen zulegen und mich von Rotbart oder so was nennen, um nicht mehr mit der Sippe Hamilton in Verbindung gebracht zu werden.«
    » Von Rotbart?« fragte sie verblüfft und platzte dann laut heraus. »Warum von Rotbart?«
    »Er hat wahrscheinlich nicht klar genug gedacht. Mein lieber Vater pflegte äußerst ungern Umgang mit Personen, die nicht von Stand waren. Manchmal frage ich mich, ob er sie überhaupt als richtige Menschen ansah. Und da ich leider

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