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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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schüttelte.
    Die Terrasse füllte sich allmählich mit Gästen. Einige festlich gekleidete und nach Parfüm duftende Frauen gingen vorbei. Sie unterhielten sich fröhlich über Kleider, wie es schien. Alles ganz alltäglich.
    Eero Grönroos blickte auf einen Parkplatz hinunter. Leute bestiegen ihre Autos oder stiegen aus. Kein Mensch in der Nahe konnte auch nur ahnen, worum es bei dem Gespräch an ihrem Tisch ging. Kein einziger Mensch in Finnland besaß in diesem Moment das gleiche ungeheuerliche Wissen und damit eine Verantwortung wie er selbst.
    Er mußte sich zusammennehmen. Es gab keinen Ausweg. Was gesagt worden war, konnte nicht mehr zurückgenommen werden.
    »Wir sollten uns jetzt den Formalien zuwenden, was in diplomatischen Zusammenhängen nicht unwichtig ist und in diesem Fall schon ganz und gar nicht«, begann er mit einer Kraftanstrengung. »Die Verbindung zwischen unseren beiden befreundeten Ländern, wie ihr sagt, muß in dieser Sache ja irgendwie geregelt werden. Wir müssen sozusagen von diesem Restauranttisch wegkommen. Hat Präsident Gorbatschow insofern irgendwelche Wünsche?«
    »Nein«, erwiderte Kirill Tschernenko und senkte dann die Stimme, da sich am Nebentisch Gäste niederließen. »Der Präsident der Sowjetunion möchte den zuständigen finnischen Behörden die Entscheidung überlassen, auf welcher Ebene weitere Kontakte stattfinden sollen. Die Entscheidung liegt also bei euch. Falls erforderlich, kann Präsident Gorbatschow direkte Gespräche mit dem Staatspräsidenten Finnlands führen. Falls nötig, können alle weiteren Kontakte nur zwischen dir und mir erfolgen. Falls gewünscht, könnt ihr euch auch für eine andere Ebene irgendwo dazwischen entscheiden.«
    »Wozu diese freie Spielfläche? Es ist immerhin eine Angelegenheit für die höchste Führung unser beider Länder.«
    »Gewiß, das könnte man meinen. In einigen westlichen Ländern hätte man eine solche Sache auf einem niedrigeren operativen Niveau behandelt, um der höchsten Führung deniability zu geben, falls etwas schiefgeht. Dann feuert man einen Obersten oder so. In anderen westlichen Staaten würde die Entscheidung beim Premierminister landen, beispielsweise in England. In den USA ließe sich denken, daß die Angelegenheit beim CIA-Chef hängenbleibt, in eurem Nachbarland Schweden vermutlich bei einem Kapitän zur See, der Entscheidungen trifft und der Regierung erst nachträglich berichtet. Das heißt, falls es gutgegangen ist. Das Feld ist mit anderen Worten ziemlich frei. Wir sind der Meinung, daß Finnland selbst die Ebene wählen sollte, das ist alles.«
    »Präsident Gorbatschow hat dem Problem einige gedankliche Mühe gewidmet, wie es scheint.«
    »Ja, davon kann man ausgehen.«
    »Was verlangst du im Moment von mir?«
    »Ich verlange gar nichts. Der Präsident der Sowjetunion hat einen Wunsch geäußert.«
    »Nun ja. Und was verlangt er?«
    »So schnell wie möglich einen Bescheid, wie die weiteren Kontakte ablaufen sollen. Zuvor ist es nicht sinnvoll, auf praktische Details einzugehen.«
    »Damit wir auf der falschen Entscheidungsebene nicht unnötig großes Wissen verbreiten?«
    »Richtig.«
    »Und was bedeutet Bescheid so schnell wie möglich?«
    »Innerhalb von achtundvierzig Stunden möchte ich Nachricht haben, wie die weiteren Kontakte in dieser Angelegenheit stattfinden sollen. Der Einfachheit halber sollten wir beide uns treffen. Sagen wir, wieder hier am selben Tisch, um die gleiche Uhrzeit, und zwar an dem Tag, an dem du mich anrufst und sagst… na ja, du kannst mir am Telefon irgendwas sagen.«
    Eero Grönroos nickte, trank gierig sein Bierglas leer und nahm dabei einen so großen Schluck, daß er fast einen Krampf im Hals bekam und mehrere Anläufe machen mußte, bevor es ihm gelang, den Rest herunterzuschlucken. Dann bezahlte er und verließ das Restaurant mit einem kurzen Kopfnicken zu seinem ehemaligen Hausrussen. Dieses Scherzwort würde er bei Kirill Jewgeniwitsch Tschernenko nie mehr verwenden können.
    Der ehemalige Hausrusse blieb am Tisch sitzen und sah eher nachdenklich als besorgt aus. Er machte sich wegen des unruhigen und abrupten Aufbruchs seines ehemaligen Freundes nicht die geringsten Sorgen. Dieses Verhalten war leicht zu verstehen.
    Eero Grönroos handelte so entschlossen, wie es ihm möglich war. Er spazierte mit schnellen Schritten zu seinem Dienstzimmer im Außenministerium, machte Licht, hängte sein Jackett auf und lockerte den Krawattenknoten. Die ganze Abteilung war leer

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