Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
ein Rotbart war und trotzdem unleugbar adlig, mußte es folglich von Rotbart werden. So muß es zusammenhängen. Eigentlich grotesk.«
    »Ja, aber recht lustig! Und was hätte er heute wohl gesagt?« Carl mußte nachdenken und runzelte die Stirn.
    »Schwer zu sagen. Ich wurde noch recht jung zum Fregattenkapitän befördert und habe einige Auszeichnungen erhalten. Dafür hätte ich natürlich Pluspunkte bekommen. Andererseits wäre ich mit meinen politischen Ansichten durchgefallen. Allerdings hätte er nie für möglich gehalten, daß ich solche Grillen im Kopf habe, wenn ich Offizier bin. Das wäre für ihn nie und nimmer auf einen Nenner zu bringen gewesen.«
    »Trauerst du um ihn?«
    »Nein, das kann ich nicht sagen. Bei näherem Nachdenken war er wohl eher ein Scheißkerl. Er hatte nur ein Interesse, zu töten. Damit hat er sich hartnäckig und konsequent von Kindesbeinen an bis zu seinem Tod beschäftigt. Er starb sozusagen in action .«
    Tessie starrte ihn eine Zeitlang zweifelnd an, um zu sehen, ob er einen Scherz gemacht hatte. Carl hob fragend die Augenbrauen, als könnte er nicht begreifen, daß etwas unklar war oder er etwas Unpassendes gesagt hatte.
    »Er war Jäger. Soweit ich mich erinnere, hat er nie etwas anderes getan, als auf die Jagd zu gehen, wenn ich mal davon absehe, daß er seine Geschäfte vernachlässigt hat«, fügte Carl nach einiger Zeit hinzu. »Schrecklich, nicht wahr?«
    »Du meinst also, er hat Tiere getötet«, stellte sie beherrscht fest.
    »Ja, Tausende in jedem Jahr. Er fuhr nach Schottland, um auf die Entenjagd zu gehen, hat dort achthundert geschossen, fuhr nach England, um auf die Fasanenjagd zu gehen, hat dort fünfhundert geschossen, nach Deutschland ging er, um Wildschweine zu jagen, drei Keiler erlegt, und so weiter. Das war übrigens auch eine seiner Enttäuschungen, was mich betraf. Er hielt mich für einen lausigen Jäger, einen miserablen Schützen und all das.«
    »Miserabler Schütze? Warst du das?«
    »Nein, nicht im technischen Sinn. Es war eher psychologisch. Sentimentalität und Weibermanieren, hätte er gesagt. Ich fand die Rehe einfach zu süß, falls man das sagen kann…«
    Sie schüttelte lächelnd den Kopf und beschloß, bei einer etwas passenderen Gelegenheit zu diesem Thema zurückzukehren, da der Alte inzwischen wieder aufgetaucht war. Frisch geduscht, rasiert und umgekleidet, halb zum Essen, halb in Freizeitkleidung.
    Er hatte eine Flasche Moselwein bei sich und drei neue Gläser, die er hinstellte und ohne zu fragen vollschenkte. Dann setzte er sich und rieb sich die Hände.
    »Diesen Wein habe ich gerade deinetwegen gekauft, Carl«, sagte er und hob sein Glas.
    Carl starrte mißtrauisch auf die Weinflasche, die der Alte so hingestellt hatte, daß er das Etikett lesen konnte. »Moselblümchen« – kein sonderlich edler Wein.
    »Man sieht nicht immer, was man zu sehen glaubt«, bemerkte der Alte sozusagen nebenbei, als er sein Glas abstellte.
    »Nein«, sagte Carl nachdenklich und kostete sorgfältig von dem Wein. »Was man sieht, ist nicht immer das, was man zu sehen glaubt. Oder was man zu schmecken glaubt, was das betrifft. Aber warum machst du es so einfach?«
    »Bist du sicher, daß es so einfach ist?«
    »Nein, bei dir kann man das nie sein. Wenn du nichts gesagt hättest, wäre es schwieriger gewesen, zumindest bei oberflächlicher Betrachtung. Aber da du etwas sagst, tust du es möglicherweise, um mich auf eine falsche Fährte zu locken.«
    »Und da ich weiß, daß du das weißt, versuche ich vielleicht doch nicht, dich nur deshalb auf eine falsche Fährte zu locken, um dich zu verwirren«, gluckste der Alte. »Nun?«
    »Einen Moment noch«, sagte Carl und kostete erneut. Er hielt das Glas gegen das Licht und studierte die Farbe des Weins.
    »Wovon um alles in der Welt sprecht ihr eigentlich? Ich verstehe jetzt gar nichts mehr«, ließ sich Tessie vernehmen.
    »Der Alte spielt ein Spiel mit mir«, erklärte Carl. »Wenn du weißt, wie der Feind denkt, und er weiß, daß du es weißt, dann laß ihn glauben, er habe dich durchschaut, dann kannst du ihn nach Strich und Faden hereinlegen. Dieser Logik zufolge trinken wir jetzt Moselblümchen.«
    »Genau«, gluckste der Alte zufrieden. »Und was trinken wir?«
    »Es steht doch Moselblümchen auf der Flasche«, sagte Tessie.
    »Ja«, sagte Carl, »aber…«
    Er machte eine abwartende Handbewegung, damit beide Männer die Fortsetzung des Satzes gleichzeitig äußern konnten:
    »Man sieht nicht immer

Weitere Kostenlose Bücher