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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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wissen.«
    »Du darfst doch keine geheimen Berichte mehr lesen«, sagte Carl in einem mokanten Tonfall, als wollte er den Kopf aus der Schlinge ziehen. »Pensionäre sollen sich nicht mehr einmischen.«
    »Ach was, sei nicht albern. Nun?«
    »Wie ich schon sagte. Es ist besser, als du dir vorstellen kannst, und besser, als ich es verdiene. Abgesehen von Tessie gibt es ja noch die Veränderungen im Job. Ich bin jetzt frei. Jetzt wird nie mehr etwas Großes passieren, da ich inzwischen Bürokrat geworden bin und Sams engster Mitarbeiter.«
    »Was sagt er dazu?«
    »Er ist meiner Meinung. Es ist eine praktische Lösung, und außerdem ist es ein Job, den ich in den letzten Jahren ohnehin ausgeübt habe, obwohl ich mich nur selten in unseren geheimen Büroräumen herumtreiben konnte.«
    »Wärst du als Chef des SSI nicht besser geeignet?«
    »Nun ja, in der Praxis bin ich ohnehin so etwas wie der operative Chef der Abteilung, aber ich sehe trotzdem nicht die Gefahr, daß wir wieder aufs Feld müssen. Ich werde ein normaler Arbeitnehmer sein, der morgens um acht zur Arbeit geht und um fünf wieder bei Frauchen ist. Draußen an der Front habe ich meinen Anteil abgeleistet.«
    »Damit bleiben jetzt nur noch das Sortieren von Akten und die Buße?«
    »Sortieren von Akten hört sich zu respektlos an und Buße zu religiös.«
    »Du weißt, was ich meine. Ich meine Joar Lundwall.«
    Carl zuckte zusammen, als der Alte den Namen nannte, und spürte, wie ihm Blut, Hitze, Verzweiflung und Kälte durch den Körper strömten. Er wußte nicht, was er sagen sollte, doch der Alte hatte nichts anderes erwartet.
    »Du bist natürlich der Meinung, es sei deine Schuld«, stellte er mit einem fast müden Tonfall fest, als wäre dies typisch Carl und natürlich vollkommen meschugge.
    »Ja«, erwiderte Carl leise, »aber ich finde nicht, daß du dich darüber lustig machen darfst. Du sagst ja, du hättest meine Berichte gelesen. Es war meine Schuld, daß wir unbewaffnet waren. Wären wir bewaffnet gewesen, hätte dieser Ganove nicht die Zeit gehabt, seine Waffe auch nur zu ziehen, bevor sowohl ich als auch Joar auch ihn erwischt hätten. Du weißt, daß es so ist.«
    »Nein«, entgegnete der Alte und schüttelte sacht den Kopf, »so ist es nicht, weil es so nicht gewesen ist. Diese Argumentation führt zu nichts. Wärt ihr bewaffnet gewesen, hätten die es gewußt und die Kämpfe vielleicht mit einem Gewehrschuß von einem Balkon aus eröffnet. Was auch immer. Joar wußte genausogut wie du, worauf er sich eingelassen hatte.«
    »Wir waren der Meinung, wir sollten einen einfachen Polizistenjob erledigen. Wir haben den Feind unterschätzt, ich meine, ich habe es getan. Ich hatte ja die Verantwortung, und Joar hat meine Anweisungen natürlich befolgt.«
    »Ich meine nicht nur Sizilien. Das hätte schon früher passieren können, dir oder Joar oder Åke, das habt ihr schon immer gewußt. Ich darf darauf verweisen, daß euer Job freiwillig ist. Ihr seid keine Dummköpfe und wißt, worum es geht. Das Unfallrisiko ist hoch, etwa so wie bei Piloten. Allerdings sind wir an Verluste nicht gewöhnt, das ist wahr.«
    »Nicht gewöhnt? Es ist doch bisher überhaupt nichts passiert.«
    »O doch. Und ein Teil davon fällt in meine ganz persönliche Verantwortung. In den fünfziger Jahren haben wir unsere sämtlichen Agenten im Baltikum verloren. Hundert Prozent. Jeden einzelnen Mann. Ich habe nie begriffen, wie die Russen das geschafft haben, ob es Unterwanderung war oder ob sie unseren Code geknackt haben. Sie haben aber die eine Hälfte getötet und die andere umgedreht und gegen uns eingesetzt. Das heißt eine Zeitlang, denn später haben sie auch die anderen umgebracht. Du kannst nicht sagen, das Leben von Agenten sei weniger wert als das von Nachrichtendienstoffizieren, oder?«
    »Natürlich nicht. Wie viele waren es?«
    »Mehr als dreißig Mann.«
    »Und das schleppst du seitdem mit dir herum?«
    »Nun ja, wir wollen nicht übertreiben. Ich war damals sehr jung, und meine Verantwortung war wohl begrenzt, zumindest im Vergleich zu dem, was mir später auferlegt wurde. Aber es ist schon richtig, ich trage einen Teil der Schuld, wie du sagen würdest.«
    »Tust du das denn nicht?«
    »Sowohl als auch. Wir sind Offiziere eines Kampfverbands. Das mußt du akzeptieren. Alle anderen tun es auch. Was würde Joar wohl in seinem Himmel sagen, wenn er jetzt sehen könnte, wie du Trübsal bläst?«
    »Ich blase nicht Trübsal.«
    »Na ja, weniger, als ich gedacht

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