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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Wahrheit hatte man sie schon längst entlarvt, und in einer weit entfernten Hauptstadt eines der Nachbarländer saß er selbst und verantwortete die Vorbereitung der Aktion. Er plante die praktische Durchführung ihres Todes. Der Beschluß dazu war schon ergangen, wenn auch unklar war, wer ihn gefaßt hatte. Doch die dort oben wußten es nicht. Theoretisch hatten sie noch immer die Chance, einen Rückzieher zu machen, es sich anders zu überlegen oder mit etwas Glück bei einem entscheidenden praktischen Detail einen Fehler zu machen. Wenn nicht, würde der Bürokrat in der fremden Hauptstadt ihnen das Leben nehmen.
    Die Männer müssen einen Verräter in ihrer Mitte haben, dachte er, sonst würden nicht so viele andere Bescheid wissen. Sie sind von Anfang an verraten worden. Sie sind schon jetzt zum Tode verurteilt, obwohl sie es nicht wissen. Man konnte sich fragen, ob der Verräter sich unter denen befand, die von finnischen oder schwedischen Soldaten geschnappt werden sollten. Wenn er Pech hatte, überlebte er die erste Konfrontation und befand sich dann inmitten seiner gefangenen Kameraden. Sollte er dann den Versuch machen, einfach vorzutreten und zu sagen, für ihn sei der Tod nicht vorgesehen, denn er gehöre zur Truppe der Guten? Gerade er dürfe nicht sterben? Was für ein Gesicht würden die anderen dann machen? Was für ein Gesicht würde er, Carl, machen, wenn er starb?
    Irgend etwas an der ganzen Geschichte stimmte nicht, aber er konnte nicht den Finger darauf legen.
    Er holte einige Karten über das Polargebiet hervor und versuchte nachzudenken. Wenn die Russen wußten, von wo die Gefechtsköpfe verfrachtet werden sollten, und sie wußten offenbar schon ungefähr, wo sie über die Grenze nach Finnland gebracht werden sollten – brauchten sie dann nicht einfach das Gebiet abzusuchen, die Bereitschaft zu erhöhen und notfalls alle Verbände auszutauschen, kurz gesagt: Konnten sie nicht alles selbst erledigen? Wozu Amerikaner, Finnen und Schweden hineinziehen?
    Er wurde in seinen Überlegungen durch Beata unterbrochen, die auf der internen Leitung anrief und mitteilte, Sam habe ein paar Minuten frei und wolle ihn gern sehen. Carl faltete seine Karten zusammen und schloß sie routinemäßig ein, bevor er zu Sam ging.
    »Und wie war unser neuer Ministerpräsident unter vier Augen?« begrüßte ihn Samuel Ulfsson. Er schien guter Laune zu sein.
    »Was soll ich sagen«, erwiderte Carl unsicher. Er wußte nicht, ob die Frage überhaupt beantwortet werden mußte. »Er scheint nicht auf den Kopf gefallen zu sein. Allerdings ist er nicht mein Typ, oder wie ich das nennen soll.«
    »Inwiefern?« erkundigte sich Samuel Ulfsson neugierig, während er seinen Schreibtisch von Akten befreite.
    »Er ist so ein Bursche, der als Junge Fliegen die Flügel ausriß und mit ihnen Krieg spielte.«
    »Aha«, sagte Samuel Ulfsson verwirrt, »aha, so einer. Aber sonst?«
    »Sonst«, sagte Carl mit einem resignierten Lächeln, »sonst ist es natürlich genau umgekehrt, wenn man ihn mit den Sozis vergleicht. Wenn das Problem damals war, daß sie uns nicht gerade ins Herz geschlossen hatten und am liebsten gar nicht wissen wollten, womit wir uns beschäftigen, besteht das Problem jetzt darin, daß die Neuen uns lieben und alles wissen und alles entscheiden wollen. Anders Lönnh möchte, wie du weißt, fortlaufend schriftliche Berichte erhalten, und zwar über jeden Schritt in der rein operativen Planung. Und der Ministerpräsident möchte aus allem Sicherheitspolitik machen, wobei er selbst natürlich die Rolle des Vorsitzenden übernimmt.«
    »Haben wir also kurz gesagt Probleme?«
    »Das läßt sich nicht so ohne weiteres sagen. Ich meine, wenn die Probleme für uns früher darin bestanden, daß wir die Führung des Landes manipulieren mußten, so geht es heute darum, daß alles zu gut funktioniert. Und kann man das noch als Problem bezeichnen?«
    »Nein, das hört sich merkwürdig an«, erwiderte Samuel Ulfsson vorsichtig und suchte kurz nach einer neuen Zigarettenschachtel. »Was ist also passiert?« fragte er kurz und sah auf, nachdem er schließlich seine Zigarette angezündet hatte.
    »Ich soll nach Moskau fliegen.«
    »Wie bitte!?«
    »Genau. Nach Moskau.«
    »Warum das denn?«
    »Um Gorbatschow zu erzählen, daß wir bereit sind, den Part der Finnen zu übernehmen, falls die einen Rückzieher machen.«
    »Wie bitte?!«
    »Ja, da staunst du. Anders Lönnh ist gerade in Helsinki und erstattet bei Präsident Koivisto

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