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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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habe. Wahrscheinlich hatte ich mir vorher nur vorgenommen, so etwas zu sagen, und dann ist es weniger elegant geraten.«
    »Weniger elegant?«
    Carl fühlte sich mit einem Mal befreit und lachte fast hysterisch los. Der Alte sah ihn forschend an und kam zu dem Schluß, daß es überwiegend doch ein gutes Lachen war und daß die Gefahr geringer war, als er befürchtet hatte. Er glaubte nicht, daß es etwas mit innerer Verhärtung zu tun hatte, sondern eher mit der wiedergefundenen Jugendliebe. Doch für den Alten, der ein praktisch veranlagter Mensch war, spielten die Methoden keine Rolle, solange sie nur wirkten. Beispielsweise wenn es darum ging, Wunden verheilen zu lassen. Und diese Tessie schien ganz ausgezeichnet zu funktionieren.
    »Ich finde, du solltest jetzt an den Strand gehen und deinem Mädchen eine Zeitlang Gesellschaft leisten. Sie hält sich vielleicht nur aus Feingefühl zurück, damit wir über unsere Geheimnisse sprechen können. Geh ruhig zu ihr runter, dann fange ich mit unserem gewilderten Essen an. Als Vorspeise hatte ich mir…«
    »Avocados mit Maränenkaviar oder frischen Grönlandkrabben gedacht«, ergänzte Carl lächelnd und stand auf, um Tessie zu suchen.
    Sie saß unten am Meer an einer der zwei Stellen auf dem Grundstück, die der Alte als denkbare Standorte für einen Außengrill mit Gartenmöbeln gedacht hatte. Bis jetzt hatte er sich jedoch noch nicht entschieden, da beide Stellen gleich schön waren.
    Sie saß da und hatte die Knie bis zum Kinn hochgezogen. Carl schlich sich lautlos an und setzte sich neben sie, während sie in die andere Richtung blickte. Als sie sich umdrehte, war er wie durch Zauberei neben ihr. Sein plötzliches Auftauchen erschreckte sie jedoch nicht im mindesten; sie zuckte nicht einmal zusammen, sondern beugte sich nur zu ihm und küßte ihn.
    »Das Meer riecht so anders. Ich fange an, mich an mein neues Meer zu gewöhnen«, sagte sie nach einiger Zeit.
    »Wir werden viel Zeit haben, am Meer zu sitzen, sehr viel Zeit«, erwiderte er.
    Der Wind wehte von Westen und führte einen starken Duft frisch geernteter Äpfel aus den Gärten des Alten mit. Die Sonne begann unterzugehen, so daß auch der Tau angekrochen kam. Die beiden sagten lange Zeit nichts, sondern schienen ihr gemeinsames Schweigen zu genießen. Erst als er sah, daß ihr kalt wurde, zog er sie vorsichtig hoch und legte den Arm um sie. Auf dem Weg zum Haus kam ihm ein Einfall.
    »Hättest du etwas dagegen, an einem See zu wohnen, einem großen See?« fragte er.
    »Ja«, entgegnete sie mit einem amüsierten Glitzern in den Augen, »wenn es ein großer amerikanischer See ist. Ich will hier wohnen. Mein Schwedisch wird bald richtig verständlich. Wenn du willst, kann ich mit unserem Gastgeber schwedisch sprechen.«
    »Nein, ich habe nicht an einen großen amerikanischen, sondern an einen kleinen großen schwedischen See außerhalb von Stockholm gedacht. Wir können ja nicht ewig in dieser Bude am Värtavägen wohnen.«
    »Ein kleines Haus, ein kleines rotes Haus am Ufer eines Sees?«
    »Ja, etwas in der Richtung schwebt mir vor. Aber vielleicht ein weißes Haus, auch nicht so verdammt klein, aber trotzdem an einem See. Hört sich gut an, nicht wahr?«
    »Hört sich sehr gut an.«
    Gut zweitausend Kilometer nordöstlich von Kivik war es schon Herbst. An den Stranden des Litsafjords, nur ein paar Dutzend Kilometer von der norwegischen Grenze entfernt, glitzerte es in dem scharfen klaren Sonnenschein wie Gold vom Laub der Zwerg und Polarbirken; das arktische Heidekraut flammte lila, und Moose leuchteten in blutigem Rot. Das Nördliche Eismeer zeigte sich von seiner einschmeichelnd schönen Seite. Der Wind war schwach und die tiefblaue Wasserfläche vollkommen still.
    Etliche Kilometer landeinwärts im Fjord waren an Land noch immer keine Häuser zu sehen und auch keine Tiere außer Möwen und anderen Seevögeln, die in großen Gruppen erste vorbereitende Manöver für ihre kollektive Flucht nach Süden durchführten. Kein Mensch war zu sehen, keine menschlichen Einrichtungen, nicht einmal Schrottreste aus dem Zweiten Weltkrieg, obwohl in dieser Region jahrelang heftige Kämpfe getobt hatten. Hier hatte Nazi-Deutschland versucht, Rußlands Lebensader in Murmansk einige Dutzend Kilometer weiter östlich zu erreichen und abzuschneiden. Auf russisch heißt dieses Gebiet »Das Tal des Todes«. Hier sind einige der härtesten Kämpfe des Großen Vaterländischen Krieges ausgefochten worden.
    Auf der

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