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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Farbmarkierungen an den Kragen; es waren Leutnants des KGB, selbstbewußt und sichtlich um Höflichkeit bemüht.
    Sie gingen eine halbe Treppe in ein Untergeschoß und durch einen langen, erleuchteten Korridor, der sich offenbar durch das ganze Gebäude erstreckte. Carl stellte sich vor, daß während der Bürostunden hier unten ziemliches Gedränge herrschen mußte. Der KGB, wie er die Organisation kannte, falls sie überhaupt noch existierte, hatte allein in Moskau vierzigtausend Angestellte gehabt. Doch jetzt war der lange Korridor völlig menschenleer, und ihre Schritte auf dem Marmorfußboden hallten von den Wänden wider. Das vermittelte einen leicht gruseligen Eindruck. Etwa in der Mitte des Korridors bogen sie in einen Seitenflur ab, gingen eine Treppe hinauf und erreichten eine riesige Halle. Carl fühlte sich in ein osteuropäisches Luxushotel versetzt. Die Fahrstühle kamen aus Finnland und bewegten sich lautlos. Sie fuhren ins oberste Stockwerk. Carl blickte seinen Begleiter verstohlen an. Dieser wirkte unangenehm berührt, woran es auch liegen mochte, ob am Fahrstuhlfahren ohne Konversation oder daran, daß er als Untergebener nervös war, weil er einen sehr hohen Vorgesetzten treffen sollte.
    »Was für einen Rang hast du, Kollege?« fragte Carl, um wenigstens etwas zu sagen.
    » Polkownik , Oberst ungefähr«, erwiderte der andere ungezwungen.
    »Genau wie ich«, seufzte Carl. »Wirklich jeder, dem man in einer solchen Organisation begegnet, ist Oberst. Hast du vor, mal General zu werden?«
    Der Russe kicherte los, als hätte man ihn auf frischer Tat bei einem ungehörigen Gedanken ertappt. Er errötete und sah trotz seiner westlichen Kleidung plötzlich sehr russisch aus.
    »Nun, lieber Kollege«, sagte er, »in der jetzigen Lage weiß man nicht, ob man General oder arbeitslos wird. Es steht nur fest, daß einen das eine oder das andere erwartet.«
    Der Fahrstuhl hielt mit einem Seufzer. Sie betraten einen dunklen Korridor mit Teppichboden, dunklen, holzgetäfelten Wänden und Türen, die so geschickt eingebaut waren, daß man sie kaum sah. Sie waren völlig allein.
    Carl fiel einen halben Schritt hinter seinen Begleiter zurück. Sie machten einen Spaziergang, der bedeutend länger wurde, als er erwartet hatte, denn der Korridor schien um das ganze Haus herumzuführen. Intuitiv berechnete er, daß sie schließlich einen Punkt erreichten, der etwa über der Hintertür liegen mußte, durch die sie das Gebäude betreten hatten.
    Sein Kollege blieb vor einer Tür stehen und betrachtete sie eine Sekunde lang fast schreckerfüllt, bevor er militärisch entschlossen anklopfte und sie dann abrupt aufriß.
    Sie betraten einen hell erleuchteten Raum, der recht groß war, obwohl es sich offensichtlich nur um ein Vorzimmer handelte. Carl staunte über eine Sekretärin, denn die Generäle des alten feindlichen Systems hatten normalerweise männliche Sekretäre gehabt. Außerdem war die Frau relativ jung, nach westlicher Mode gut gekleidet und empfing ihn mit einem perfekten Englisch. Sie bat die Besucher, sich eine Weile zu setzen, während sie sich erkundigte, ob sie eintreten dürften.
    Das durften sie. Als sie in den länglichen und übertrieben weitläufigen Raum mit dem Chefschreibtisch in der hinteren Ecke und einem Konferenztisch aus dunklem, poliertem Holz betraten, wußte Carl sofort, daß er an der richtigen Stelle gelandet war. Der Mann, der sich hinten am Schreibtisch erhob, war Jewgenij Primakow, ehemaliger Sicherheitspolitiker, auch wenn man ihn in der Gemeinschaft der westlichen Nachrichtendienste immer als KGB-Mann eingeschätzt hatte. Neben dem Schreibtisch saß ein kleiner gekrümmter Mann mit ausgefransten Jackenärmeln und einem Pullover unter dem Jackett. Das war offenbar der Dolmetscher, jedenfalls kein Assistent oder Leibwächter.
    Jewgenij Primakow sah nachgerade wie ein Symbol des alten Feindes aus: schweres, fleischiges Gesicht, das unter der Last von Speis und Trank allmählich zusammenfiel, massiger, unbeweglicher Körper, etwa aus den gleichen Gründen, dicke, rauchfarbene Brillengläser, die zwar nicht ganz dunkel waren, aber doch den Blick des Mannes verbargen. Er stand schwer und umständlich auf und begann mit einer langen und eintönigen Suada. Nach kurzer Zeit gab er dem Dolmetscher ein Zeichen, der in etwa das übersetzte, was Carl schon verstanden hatte, eine Reihe allgemeiner Begrüßungsphrasen altsowjetischen Zuschnitts. Primakow sprach von der Freundschaft der beiden

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