Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
Kleidern da und lauschten dem Heulen des Sturms, während der Schweiß an ihren Körpern zu trocknen begann und die Kälte angekrochen kam. Das letzte, woran Kolja vor dem Einschlafen dachte, war, daß es nie gehen würde und daß es das Beste wäre, wenn man sie schnell fand, damit das Elend ein Ende hatte.
    Jetzt, ein paar Tage später, war alles anders. Sie hatten ihr Tageslager in einem Hain mit niedrigen Tannen in einer kleinen Senke aufgeschlagen und sich seinen Berechnungen zufolge inzwischen dreiundzwanzig Kilometer weiterbewegt. Das lag zwar unter dem berechneten täglichen Durchschnitt von gut zehn Kilometern, aber sie hatten aus den ersten Fehlern gelernt und sich an die Verhältnisse angepaßt. Außerdem hatten sie jetzt nur drei Schlitten und nicht vier wie in der ersten höllischen Nacht. Einer der Schlitten war rund zehn Kilometer entfernt versteckt und diente als eine Art Reserve. Zwei von den übrigen Schlitten waren sehr schwer und einer etwas leichter. Der dritte würde nach und nach noch leichter werden, da sie bei dieser Reise durch die Wildnis immer mehr von dem Proviant aßen.
    In der ersten Nacht hatten überdies alle mit Schneeschuhen gearbeitet. Die Männer da vorn, die die Schlitten zogen, hatten jetzt Skier an, und nur die anderen, die hinten schoben, trugen Schneeschuhe. So ging alles viel leichter. Obwohl sie immer noch harte Arbeitstage zu bewältigen hatten, als wären sie Galeerensklaven.
    Jeder Mann hatte fünfzig Tausend-Dollar-Scheine bei sich, was die Arbeit wohl ein wenig leichter machte. Und am Ziel warteten weitere fünfzig.
    Die Schlitten wurden auf dicken Flugzeugkufen gezogen, Kufen, mit denen Flugzeuge etwa auf gefrorenen Seen landen. Ihre Breite bewirkte, daß die Schlitten nicht so tief im Schnee einsanken, wie man hätte befürchten können. So wie es aussah, war alles nur eine Frage von Zeit, Plackerei, Schweiß und Gottes Hilfe.
    Im Dämmerlicht mitten am Tag lagen sie still unter ihren Tarnnetzen. Das Wetter war besser geworden. Inzwischen war der Himmel fast völlig klar, was ein Vorteil war, wenn sie gingen. Sie mußten nicht mehr gegen den Wind und den Schnee ankämpfen wie an den ersten beiden Tagen, als die Schneeflocken wie Eisnadeln ins Gesicht stachen. Mit dem besseren Wetter sanken jedoch andererseits die Temperaturen. Im Augenblick hatten sie wahrscheinlich etwas mehr als fünfundzwanzig Grad minus. Wenn man bei der Temperatur still dalag, dauerte es nicht lange, bis die Kälte durch die Kleidung kroch. Keine Kleidung der Welt richtet etwas gegen Temperaturen unter zwanzig Grad minus aus, zumindest nicht nach mehreren Stunden. Jeder der Männer sehnte sich danach, wieder loszulegen, denn wenn man lernte, die genau richtige Menge an Kleidung zu tragen, und überdies abwechselnd schwerere und leichtere Arbeit verrichtete, bestand keine Gefahr. Man mußte sich nur in Bewegung halten, um der Kälte zu widerstehen. Schwierig war es, während der hellen Tagesstunden still zu liegen. Überdies durfte man nicht zu verschwitzt sein, wenn man sich nachts ins Zelt legte. Doch all das lernte jeder nach und nach, und außerdem waren die beiden Finnen offenbar gewohnt, sich in der Wildnis zu bewegen. Sie zeigten ihren russischen Seemannskameraden lachend, wie man es machte. Der Amerikaner schien die wenigsten Schwierigkeiten zu haben. Seine Kleidung und seine Ausrüstung waren offenbar nicht nur grellbunt und farbenfroh, sondern auch effektiver als das chinesische Material.
    Kolja spürte, daß er mit den Zähnen zu klappern begann, und sah auf die Uhr. Er durfte erst in einer halben Stunde das Zeichen zum Aufbruch geben. Bei klarer Sicht und Dämmerung konnte man sie leicht aus der Luft entdecken. Da sich normalerweise hier draußen kein Mensch aufhielt – denn wer hatte hier etwas zu suchen? –, würden sie natürlich eine tödlich gefährliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen, falls sie aus der Luft entdeckt wurden. Hier draußen gab es zwar kaum einen Anlaß für Tiefflüge, aber wissen konnte man es nie.
    Kolja zog den Schlafsack enger um sich und versuchte, Hände und Füße zu bewegen, um die Steifheit zu überwinden, die langsam am Körper emporkroch. Gleichzeitig wärmte er sich an verschiedenen Plänen, wie sich sein Leben gestalten sollte, wenn all dies vorüber war. Schon zu Neujahr würde er wieder in Murmansk sein und wie gewohnt bei Mike draußen an Bergungsvorhaben im Fjord arbeiten, als wäre das seine reguläre Arbeit. In Wahrheit war er ein reicher

Weitere Kostenlose Bücher