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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Mann. Er würde sich auf Geschäfte verlegen, vielleicht interessante Dinge importieren und sie in einem eigenen Unternehmen verkaufen, vielleicht auch eine Aktiengesellschaft gründen und sie leiten. Er würde finnische Bauarbeiter ins Land holen und sich ein eigenes Haus mit Aussicht auf den Fjord bauen; Mike hatte ihm Bilder seines Hauses gezeigt, das irgendwo am Meer lag.
    Während die schmutziggraue kalte Dämmerung nach und nach in Dunkelheit überging, sah Kolja sich in einem dunklen Anzug auf einer Glasveranda sitzen, in der Hand einen Drink mit einer roten Kirsche. Von den Gästen im Haus waren Musik und Stimmengewirr zu hören, im Kamin brannte ein offenes, knackendes und angenehm duftendes Feuer, und bald würden die Gäste mit Goldbestecken essen und aus Kristallgläsern mit Goldrand trinken.
    Vielleicht würde er sich auch in Moskau niederlassen und sich eine Wohnung mit Aussicht auf den Roten Platz nehmen, wenn auch ohne offenen Kamin. Oder er würde pendeln. Es hieß doch so? Zwischen Moskau und Murmansk pendeln. Er hatte sich nie versucht gefühlt, Rußland zu verlassen. So dumm war er nicht, denn er begriff, daß er hier Geschäfte machen und Direktor werden konnte. Drüben im Westen würde er nie etwas anderes werden als ein kleiner Fisch. Leute wie Mike verspeisten solche kleinen Fische vermutlich schon zum Frühstück. Er würde nie sein Vaterland verlassen. Das heißt doch, auf Reisen, natürlich. Er würde nach Amerika reisen und sich Hollywood und die Freiheitsstatue ansehen. Mit den Ausgaben würde er allerdings vorsichtig sein; Mike hatte ihn gewarnt, daß hunderttausend Dollar in den USA nur ein Taschengeld seien, während sie hier in Rußland ein unbegreiflich großes Vermögen waren.
    Nein, er würde nur zu Besuch hinfliegen und seine Brieftasche festhalten. Alles, was er wollte, war hier in Rußland zu haben. Er brauchte nur noch 275 Kilometer lang zu schleppen, dann war die Sache erledigt.
    Nur 275 Kilometer? Er lachte leise vor sich hin und stand mit steifen Gliedern auf. Damit zeigte er, daß es Zeit war, alles zusammenzupacken und mit einer neuen schweren Achtstundenschicht zu beginnen, unterbrochen nur durch zwei Pausen. Es ging langsam, aber sicher voran. Jeder Schritt war ein Schritt, der ihn der Verwirklichung seiner Träume näherbrachte.
    Ein großer Teil von Carls Arbeitstag war zu seinem Befremden mit der Diskussion von Etikettefragen vergangen. Als Gast eines Essens beim König wurde von ihm natürlich erwartet, daß er sich in Ausgehuniform einfand. Insoweit war nichts merkwürdig oder auch nur unangenehm. Er hatte ja nicht gerade vorgehabt, in Jeans hinzugehen, um seine republikanische Überzeugung zur Schau zu tragen. Allerdings verhielt es sich so, daß bei der großen Ausgehuniform auch Orden getragen werden mußten.
    Carl wand sich unter den Vorwürfen Samuel Ulfssons und Beatas wie ein Aal. Sie hatten einen Experten der Nachrichtenabteilung hinzugezogen, dessen Hobby Orden waren. Dieser Mann hatte eine vollendete Beschreibung dessen geliefert, wie Carl aussehen sollte.
    Es sei nicht üblich, mehr als drei Ordenskreuze am Hals zu tragen, wie der Kollege mitteilte. Er hatte ein Register von Carls Auszeichnungen vor sich. Folglich sollte Carl am Hals das Kommandeurskreuz der Ehrenlegion tragen, vorzugsweise in der Mitte, daneben das Bundesverdienstkreuz und den norwegischen Sankt-Olafs-Orden. Das Problem, daß er auch Kommandeur des Ordens des italienischen Staates war, entfiel, da diese Auszeichnung ein K 1-Orden war (so hieß das offenbar in der Sprache von Ordensfreunden), von dem es ja auch einen Ordensstern gab. Folglich ließ sich der Ordensstern auf der linken Brustseite befestigen. Über diesem Stern sollten die drei schwedischen Auszeichnungen hängen, die beiden Tapferkeitsmedaillen dem Herzen am nächsten, daneben die Medaille des Königs in der achten Größe. Etwas vergessen?
    Nun ja, erklärte Carl ironisch, da sei ja noch der Rote Stern der Sowjetunion.
    Nun, den anzulegen sei vielleicht nicht so dringend erforderlich. Wenn ja, müsse er aber unter dem Ordensstern befestigt werden, der zu dem italienischen Orden gehöre. Im übrigen könne die Miniatur der italienischen Auszeichnung auch schräg über den drei schwedischen Originalmedaillen hängen.
    Diese Darlegung, wie der Weihnachtsbaum ordnungsgemäß geschmückt werden sollte, ließ sich grundsätzlich nicht in Frage stellen. Carl erfand jedoch immer wieder neue Einwände, so daß Beata ihn einen

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