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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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leer. Einige Handwerker waren dabei, eine Sitzbank im Umkleideraum zu reparieren. Eine merkwürdige Tageszeit, so etwas zu tun.
    Alexej Mordawin duschte warm, um nicht mit kaltem Körper in die Kälte hinauszugehen. Er rubbelte sich sorgfältig mit einem groben Handtuch ab, um den Blutkreislauf in Gang zu bekommen, und als er sich auf die Holzbank setzte, um sich die Strümpfe anzuziehen, spürte er im Gesäß einen stechenden Schmerz. Er fluchte, stand auf und zog etwas heraus, was wie eine grobe Reißzwecke aussah. Einer der Handwerker entschuldigte sich, nahm die Reißzwecke und steckte sie mit einem bedauernden Lächeln in seinen Werkzeugkasten. Dann setzte er seine Arbeit fort und nagelte eine Holzlatte fest.
    Alexej Mordawin schimpfte etwas über Nachlässigkeit und tölpelhafte Manieren, aber die Männer zuckten nur bedauernd die Achseln. Dann dachte er nicht mehr an den Vorfall, sondern zog sich weiter an. Er setzte seine dicke Wintermütze auf und ging hinaus.
    Er hatte nur einen fünfminütigen Spaziergang auf der Karl-Marx-Straße bis zu seiner neuen Wohnung.
    Es schneite leicht und war recht kalt, vielleicht fünfundzwanzig oder dreißig Grad unter Null. Alexej Mordawin ging mit gesenktem Kopf, als wäre er in Gedanken versunken. Dort, wo er sich am Hinterteil gestochen hatte, begann es zu pochen, und er fluchte erneut über tölpelhafte Handwerker.
    Es hatte den Anschein, als würde es zwischen Rußland und der Ukraine zu großen politischen Gegensätzen kommen, und aus Alexej Mordawins spezieller Sicht sah es unleugbar besorgniserregend aus, da seit drei oder vier Tagen keine Bahntransporte mehr aus der Ukraine gekommen waren. Die Ukrainer schienen ganz einfach begriffen zu haben, was da im Busch war, und klammerten sich jetzt an ihren Kernwaffen fest. In der Presse wurde die Frage schon fast offen diskutiert. Die Ukrainer schienen der Meinung zu sein, daß sie als künftig selbständiger Staat das Recht hätten, über »eigene« Waffen zu verfügen. Dies war in gewisser Weise ein bizarrer Standpunkt, da sämtliche strategischen Waffen sowjetischer Herkunft waren und damit weder russisch, weißrussisch, ukrainisch noch sonst etwas. Andererseits war das Mißtrauen der Ukrainer vielleicht verständlich. Denn weshalb sollte ausgerechnet Rußland alle strategischen Waffen beherrschen, wenn die Union auseinanderbrach?
    Es hatte tatsächlich den Anschein, als würde sie auseinanderfallen. Selbst wenn es manchen unglaublich vorkam. Michail Gorbatschow arbeitete verzweifelt daran, einen neuen Unionsvertrag zusammenzuschustern, aber dieser Jelzin schien alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um die Einheitsbestrebungen zu sabotieren.
    Es war ihnen in Seweromorsk gelungen, in kurzer Zeit mehr als zweitausend verschiedene atomare Gefechtsköpfe beiseite zu räumen, die jetzt in den Felshöhlen oben am Litsafjord sicher verwahrt wurden. Das war immerhin etwas. Aber selbst bei vorsichtiger Zählung gab es insgesamt doch rund 25 000 bis 30 000 Gefechtsköpfe. Wenn ja, war es ihnen nur gelungen, rund zehn Prozent des Arsenals sicherzustellen.
    Es war unklar, ob er in der nächsten Zeit ein neues Kommando erhalten würde. Im Stab schien niemand etwas zu wissen. Alles schwebte in Unsicherheit. In den Stäben wußte man nicht, was von einem Tag auf den anderen geschehen konnte.
    Alexej Mordawin dachte kurz an Kolja. Es war aber, als wollte er alle solche Überlegungen verdrängen, als wäre es gefährlich, sie auch nur für sich anzustellen. Kolja war jetzt mehr als die Hälfte der berechneten Zeit abwesend. Noch hatte man sie nicht geschnappt. Aber das Projekt war auch noch nicht zu Ende geführt worden. Erst in zehn Tagen würden sie aufatmen können.
    Natürlich bereute Alexej Mordawin seine Teilnahme, und ebenso natürlich war es zu spät für diese Reue. Auch wenn es ihm äußerst schwerfiel zu glauben, daß irgendwelche Araber oder andere in der Dritten Welt solche Waffen tatsächlich beherrschen und einsetzen konnten, war es trotzdem höchst abenteuerlich gewesen, sich an einem solchen Vorhaben zu beteiligen, ganz abgesehen davon, daß es verbrecherisch war.
    Aber was hatte es für einen Sinn, jetzt noch Reue zu empfinden? Es war geschehen und ließ sich nicht mehr rückgängig machen.
    Er hatte fast die Fischgasse erreicht, da bemerkte er ein eigentümliches Lichtphänomen. Als er zu den Straßenlaternen hochblickte, kam es ihm vor, als hätte jede Laterne eine Aura, kleine kreisrunde Regenbogen. Wenn man

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