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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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fuhr Kolja fort, ebenso leise und fast verschämt wie zuvor.
    »Dann beginnen wir mit wo und wann«, fuhr Carl fort und gab sich den Anschein, allmählich ungeduldig zu werden.
    »Zwei Kilometer auf der anderen Seite der Grenze, zwei Kilometer direkt südlich vom neunundsechzigsten Breitengrad. Von jetzt an in zwei Tagen und sechs Stunden«, murmelte Kolja. Er spürte, daß er errötete. Er fühlte sich wie ein Verräter.
    »Gut! Es macht sich«, sagte Carl aufmunternd. »Dann kommen wir zu der Frage nach dem Wer.« Kolja schüttelte sacht den Kopf.
    »Wer?« wiederholte Carl. »Ihr müßt doch wohl wissen, mit wem ihr derart wichtige Geschäfte macht?«
    »Wir wissen nur, daß man uns auf der anderen Seite bezahlen wird. Aber ich schwöre, wir wissen nicht, wer uns da in Empfang nimmt«, sagte Kolja resigniert. Er machte sich keine Illusionen, wie es weitergehen würde.
    »Ach nein«, sagte Carl und machte dann eine lange Pause, in der er die Lage abschätzte. Es galt, die Gefangenen davon zu überzeugen, das sie noch eine Chance hätten, mit dem Leben davonzukommen. Aus diesem Grund durfte einer von ihnen, der noch immer in Sichtweite war, einem etwas aufgeschobenen Tod entgegentrotten. Es war auch wichtig, daß er, Carl, die Schuldgefühle gerecht unter seinen Untergebenen verteilte. Wenn sie nach Hause kamen, sollte jeder die gleiche Schuld auf den Schultern spüren, nicht nur aus rein menschlichen Gründen, sondern weil es wegen der Geheimhaltung so am praktischsten war.
    Carl entschied für sich, wer als nächster schießen sollte, wiederholte seine ene-mene-mu-Litanei , als würde der Zufall entscheiden, und zeigte auf einen Mann, der sofort auf die Knie sank und um sein Leben flehte, während er versicherte, er wisse überhaupt nichts.
    Carl schnalzte bekümmert mit der Zunge und schüttelte den Kopf. Er wandte sich um und blickte den jüngsten Teilnehmer der schwedischen Gruppe an; als sich ihre Blicke begegneten, begriff der andere sofort, was kommen würde, leckte sich die Lippen und atmete tief durch.
    »Haben Sie die Güte, Leutnant Stridsberg, diesen Mann hier zu erschießen«, befahl Carl. Der junge Schwede gehorchte sofort. Es fielen sechs oder sieben Schüsse in schneller Folge, und der kniende Mann wurde umgestoßen. Ein Bein zappelte eine Zeitlang noch wild, bis der Mann reglos dalag.
    »Nun, mein junger Freund«, fuhr Carl zu Kolja gewandt fort, als er das Ergebnis seines letzten Hinrichtungsbefehls geprüft hatte. »So können wir nicht weitermachen. Dann müssen viel zu viele von euch unnötig sterben. Ich will jetzt wissen, wer diese Dinge von euch übernehmen soll.«
    Kolja schüttelte sacht und traurig den Kopf.
    »Weiß nicht. Ich weiß es tatsächlich nicht«, flüsterte er.
    »Ach nein!« sagte Carl ungeduldig. »Dann stelle ich mal eine andere Frage. Wer ist der zweite von euch, der genau weiß, was ihr da mitgeschleppt habt?«
    »Du hast ihn gerade erschießen lassen«, sagte Kolja.
    Carl überlegte. Es bestand natürlich die Gefahr, daß es sich tatsächlich so verhielt. Er hatte die Männer, die als erste erschossen werden sollten, danach ausgewählt, was ihr Äußeres über ihre Stellung in der Gruppe verriet; vor allem hatte er darauf geachtet, einen Mann in westlicher Polarkleidung zu schonen.
    Dieser Mann trat jetzt zögernd einen Schritt vor, atmete tief durch und sprach Carl auf englisch an.
    »Den Teufel auch. Ich bin der zweite in dieser Bande, der etwas weiß. Sie können mich nicht erschießen, ich bin amerikanischer Staatsbürger!«
    Carl spielte aufrichtig erstaunt und gab sich bei der Mitteilung der amerikanischen Staatsbürgerschaft fast ehrerbietig. Daraufhin wechselte er sofort ins Englische.
    »Ach, sieh an, so verhält es sich also, amerikanischer Staatsbürger. Das nenne ich eine Überraschung. Jaja, manche haben sozusagen Glück im Unglück. Wie heißen Sie?«
    »Richard Steven Emerson III.«, erwiderte der Amerikaner ohne zu zögern.
    »Haben Sie die Güte, ein paar Schritte zur Seite zu gehen, Mr. Emerson«, sagte Carl honigsüß und ließ mit der Hand erkennen, wie weit der Amerikaner zur Seite treten solle. Aber da er das Zögern und die Furcht in den Augen des anderen sah, ergänzte er im selben seidenweichen Tonfall:
    »Ich möchte nur, daß Sie aus dem Schußfeld kommen. Wie Sie vielleicht verstehen werden, wollen wir einen amerikanischen Staatsbürger nicht aus Versehen verletzen.«
    Der andere schluckte den Bluff und ging erleichtert ein Stück zur Seite,

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