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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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bekommen, dessen Anweisungen vielleicht schneller befolgt würden als seine eigenen.
    So geschah es. Zehn Minuten später kam ein Anruf aus Helsinki. Der nach dem bisher Vorgefallenen recht wütende Grenztruppenoffizier riß den Hörer an sich und knurrte eine Antwort, die Carl, der dabei zusah, nicht sonderlich höflich klang.
    Doch plötzlich und sehr abrupt nahm der lokale Befehlshaber eine andere Haltung an. Er richtete sich auf, senkte die Stimme und verneigte sich mehrmals, bevor das kurze Gespräch beendet wurde.
    Dann holte er tief Luft und drehte sich zu der neugierigen Versammlung dreier gescheiterter Vernehmer und eines recht erfolglosen Dolmetschers um und gab mit erstaunlich schwacher Stimme einen Befehl, der einfach zu sein schien. Doch niemand der Anwesenden rührte sich, weshalb er mit lauterer Stimme und sichtlicher Entschlossenheit seinen Befehl wiederholte und etwas wie eine Erklärung hinzufügte, in der Carl das Wort presidenti aufschnappte.
    Der Anrufer, dessen Anweisungen jetzt sofort und selbstverständlich befolgt wurden, war der Präsident der Republik Finnland gewesen, Mauno Koivisto.
    Die Anweisungen des Präsidenten wurden Carl sehr schnell, wenn auch etwas unbeholfen übersetzt. Es lief darauf hinaus, daß Carl ohne weitere Fragen freigelassen werden solle, und daß man ihn dorthin fahren solle, wohin er wünsche, und zwar ebenfalls ohne weitere Fragen.
    Carl schlug vor, man solle ihm der Einfachheit halber einen Wagen leihen. Er werde ihn vor dem Hotel Ivalo parken und die Schlüssel am Empfang abgeben. Man gab ihm den Wagen des Chefs, einen Volvo. Er bat noch um eine Karte der Region. Auch dieser Wunsch wurde auf der Stelle erfüllt. Und danach, erst danach, kam jemand auf den Einfall, ihm die Handschellen abzunehmen.
    Unter den drei Schweden im Hotel Ivalo wollte sich die richtige Stimmung nicht so recht einstellen, obwohl es ein Tanzabend kurz vor Weihnachten war und obwohl mindestens zwei der Männer ein durchaus verständliches Finnisch sprachen und wenigstens wie normale Männer Bier und Schnaps trinken konnten. Der dritte hatte jedoch etwas Kanakenhaftes an sich und trank überdies nur Wein.
    Zunächst wurde Tango getanzt, und die deutsche Reisegesellschaft, die das halbe Hotel füllte, tummelte sich auf dem Tanzboden. Doch nach dem Tango waren es Polka oder Schottis oder Snoa, Tänze, die im Norden Finnlands Menschen aller Altersgruppen beherrschen; die Ausländer resignierten schnell und begnügten sich daraufhin mit der Funktion von Zuschauern. Sie hatten Menschen noch nie auf diese dampfend ursprüngliche und dennoch bemerkenswert elegante Weise tanzen sehen. Es hatte den Anschein, als wären westliche Tänze noch kaum bis zu dem wilden Land vorgedrungen.
    Die drei düsteren Schweden ließen sich von dem Schauspiel ablenken, und obwohl sie Männer waren, die grundsätzlich nichts überraschen konnte, schon gar nicht Menschen, die sich von hinten anschlichen, bemerkte keiner von ihnen den frischgebadeten und gutgekleideten, fast übertrieben eleganten Landsmann, der plötzlich den freien Stuhl an ihrem Tisch nahm und sich setzte.
    »Ich hoffe, die Herren entschuldigen meine kleine Verspätung«, sagte Carl lächelnd, nahm die Weinkarte und tat, als studierte er sie, damit die anderen ein paar Sekunden Zeit hatten, die Lage zu erfassen.
    Åke Stålhandske konnte sich nicht beherrschen. Er stand so heftig auf, daß der Stuhl hinter ihm umkippte. Beinahe hätte er den ganzen Tisch umgestürzt. Er riß Carl hoch und umarmte ihn.
    »Du Idiot«, lachte er mit Tränen im Gesicht, »du gottverdammter Idiot. Stell dir vor, es wären Russen gewesen!«
    »Aber es waren ja keine«, sagte Carl verlegen und wehrte weitere Attacken ab. »Denk an deine wilden Landsleute. Sie könnten glauben, wir seien Russen oder zumindest leicht pervers, wenn du mich nicht losläßt.«
    Er machte sich frei, nahm sich noch einmal die Weinkarte vor, diesmal ernsthaft, bestellte dann schnell und blickte vielsagend auf das Handy, das mitten auf dem Tisch lag.
    »Hast du zu Hause angerufen?« fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
    »Nein«, sagte Åke Stålhandske, »ich wollte ja nicht anrufen, bevor du wieder da bist.«
    Dann nahm er das Telefon und rief Tessie und Anna an. Er berichtete, ihr kleiner Job hier oben in der Wildnis sei beendet. Es sei ein bißchen kalt und trist, aber sie würden am nächsten Tag mit der ersten Maschine nach Stockholm fliegen.
    Dann bekam Carl den Hörer. Als er Tessie am

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