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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Schwedens liege möglicherweise eher darin, seine Dienste als neutraler Vermittler in internationalen Konflikten anzubieten. Deshalb sei es grotesk, wie eine Großmacht früherer Zeiten aufzutreten, mit dem Anspruch, Sondertruppen in alle Welt zu entsenden, um Konflikte mit Gewalt zu lösen.
    Da die Gewalt überdies einen Umfang angenommen hatte, der ebenso blutig wie übertrieben erschien, mußte man sich ernsthaft fragen, wer dafür die Verantwortung übernahm. Wußte die Regierung überhaupt, womit die Militärs des OP 5 sich eigentlich beschäftigten? Und wenn ja – wer war auf den Gedanken gekommen, schon im Vorfeld Operationen zu billigen, die, wie man jetzt erfahren hatte, zum Tod von mehr als dreißig Menschen geführt hatten, unter denen sich auch mehrere Frauen und Kinder befanden?
    Die Fragen waren durchaus von öffentlichem Interesse, aber einen Monat vor den schwedischen Reichstagswahlen wollten die beiden Hauptgegner, Sozialdemokraten und Konservative, die politische Diskussion um jeden Preis innerhalb eigener und vorherbestimmter Grenzen halten. Die Konservativen sprachen von dem Systemwechsel und dem Neuanfang, der für Schweden Wirklichkeit werden könne, wenn sich das Land der letzten Reste von Planwirtschaft und Sozialismus entledige – die Partei wollte gerade diese beiden Reizworte besonders oft betonen und in den Vordergrund stellen. Die Sozialdemokraten hingegen wollten die soziale Not und die sozialen Verwerfungen diskutieren, die unweigerlich die Folge seien, wenn die politische Rechte die Möglichkeit erhielt, das schwedische Wohlfahrtssystem zu schleifen.
    In diese Debatte paßte die Frage vereinzelter, wenn auch spektakulärer militärischer Operationen wie die Faust aufs Auge. Die Ereignisse auf Sizilien waren gerade mit solchen Dingen geladen, die Politiker verabscheuen, mit Gefühlen, die eine Debatte ausufern und in völlig unerwartete Richtungen lenken können, und das unabhängig von rationalen und im voraus taktisch berechneten Argumenten.
    Es bestand überdies das Risiko, daß eine öffentliche Debatte zu diesem Thema ein weiteres ärgerliches Ergebnis haben würde: daß nämlich ein Sprachrohr der Grünen sich in einer Hauptrolle auf der politischen Bühne sonnen durfte, ausgerechnet in einem Moment, in dem es aussah, als würde die Umweltpolitik aus dem Reichstag verschwinden. Den beiden Hauptgegnern hätte ein solcher Wahlausgang die Politik in mancherlei Weise vereinfacht.
    Die politischen Kommentatoren in den vom Staat kontrollierten Rundfunk und Fernsehsendern teilten in dieser wie in allen anderen Fragen die Auffassung des politischen Establishments. Und Dinge, die weder im Rundfunk noch im Fernsehen angesprochen wurden, existierten als politische Fragen auch nicht in einem Wahljahr.
    Die Journalisten empfanden einen instinktiven Widerwillen dagegen, etwas zu attackieren, was sie selbst ein paar Wochen lang mit geschürt hatten, nämlich einen an Euphorie grenzenden Nationalstolz. Wenn man sich jetzt dagegen aussprach, wäre das etwa wie die Behauptung, Stefan Edberg habe ein Wimbledon-Finale mit Hilfe unlauterer Mittel gewonnen.
    Nach dem Ende der rein militärischen Operationen auf Sizilien und der Rückkehr der befreiten Schweden hatte sich die Publizität natürlich auf wiedervereinte Familien mit weinenden Kleinkindern, Ehefrauen, Hunden und Katzen konzentriert. Hoffnung und Furcht. Die Entführten hatten in Lebensgefahr geschwebt und geglaubt, nie überleben zu können. Plötzlich war die Hölle losgebrochen, und aus Rauch und Staub war jemand aufgetaucht und hatte gesagt: »Still liegenbleiben, wir sind vom Generalstab und sind gekommen, um euch nach Hause zu holen.« Und dann Tränen, Befreiung und all das andere.
    Die Ausgangslage für eine kritische Debatte zum Thema des schwedischen Rechts, im Ausland militärische Operationen durchzuführen, wäre also selbst dann miserabel gewesen, wenn ein anderer als ein Grüner sie eröffnet hätte.
    Zwei Zufälle, von denen jeder für sich nicht ausgereicht hätte, der Debatte in einem Wahljahr eine neue Richtung zu geben, veränderten die Lage dramatisch.
    Da es Sommer war, saßen in den meisten Nachrichtenredaktionen viele Urlaubsvertreter, junge, hungrige Menschen, die gern Aufsehen erregen und sich einen Namen machen wollten, um irgendwann eine feste Anstellung zu erhalten.
    Ein solcher Urlaubsvertreter der Regionalnachrichten des Fernsehprogramms »Sydnytt« in Schonen stolperte über den Verteidigungsminister des

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