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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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ironisch über demokratische Grundwerte und das Recht der Öffentlichkeit auf Informationen sprechen zu hören. Traditionell galt in der Abteilung die Auffassung, daß die Öffentlichkeit möglichst wenig erfahren sollte. Außerdem wurde seit langer Zeit versucht, nach außen hin einen Stil des Respekts für den Arbeitgeber der Abteilung zu kultivieren, nämlich die Allgemeinheit.
    »Eigentlich sollte man darüber keine Scherze machen«, brummte Carl.
    »Ich weiß«, erwiderte Samuel Ulfsson. »Ich weiß. Ich bin vielleicht selbst nicht so im Gleichgewicht, wie ich es mir wünschen würde. Die Lage ist wirklich ernst, in diesem Punkt kannst du mir glauben. Beata hat die Liste mit den Anfragen da draußen. Hast du den Befehl voll und ganz verstanden?«
    »Ja«, sagte Carl resigniert. »Ich habe alles verstanden. Zu Befehl.«
    Er ging mit einem kurzen Kopfnicken und verweilte draußen bei Beata, die schon Bescheid wußte. Sie kicherte über Sams Entscheidung, Carl den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen, und wühlte in dem Haufen mit schriftlichen Anfragen.
    Carl blätterte voller Unlust in dem Stapel und seufzte tief. Sein flackernder, unkonzentrierter Blick fiel auf ein neues kleines Schild auf ihrem aufgeräumten Schreibtisch.
    »Sekretärin des Sicherheitschefs beim Nachrichtendienst«, las er erstaunt. »Ist das dein neuer Titel?«
    Beata nickte errötend und mußte sich zusammennehmen, um nicht laut loszulachen.
    »Gratuliere zur Beförderung, wenn es eine ist«, fuhr er fort.
    »Es muß eine der längsten Amtsbezeichnungen sein, die es überhaupt gibt. Wie um Himmels willen willst du das abkürzen?«
    »SSN, das ist doch nicht so schwer«, überlegte sie zerstreut und betrachtete das Schild. »Oder SSCN. Vielleicht fällt dir noch was ein?«
    »Ich ziehe die Dienstbezeichnung in ihrer vollen Länge vor«, lächelte Carl. »Ruf diesen Ponti beim Echo des Tages an. Wir sollten mit dem anfangen. Ich bin ihm einige Gegenleistungen schuldig.«
    »Sekretärin des Sicherheitschefs beim Nachrichtendienst«, sprach er dann laut und langsam vor sich hin, als deklamierte er ein Gedicht. »Hört sich wie Poesie an. Was für Talente wir hier im Haus haben.«
    Er zwinkerte ihr zu und ging, scheinbar in bester Laune.
    Eero Grönroos befand sich in einer Hölle, was ihn grundsätzlich nicht erstaunte. Hingegen war es eine Hölle ganz anderer Art, als er sie sich vorgestellt hatte: die letzte Freitagsmaschine der Finnair von Moskau nach Helsinki.
    Es fiel ihm schwer, seinen Augen und Ohren zu trauen. Zwar hatte ihm die schwarze Tasche, die mit einer Kette an seinem Handgelenk befestigt war, und sein Diplomatenpaß einen Sitzplatz ganz vorn in der Maschine eingebracht, einen Platz ohne Nachbarn, doch inzwischen war es schon gelungen, ihm ein Bier über den Anzug zu kippen, und um ein Haar hätte sich ein Stahlwerksdirektor, der auf dem Weg zur Toilette gestolpert war, auf ihn übergeben.
    Die Gewerkschaft bei Finnair führte schon Verhandlungen über besondere Risiko und Erschwernis-(Ekel-)Zulagen, die gerade den letzten Freitagsflug zwischen Moskau und Helsinki betrafen. Es war ein berüchtigter und gefürchteter Flug, obwohl er nur eineinhalb Stunden dauerte; die Entfernung zwischen den beiden Hauptstädten ist nicht sehr groß.
    Eine Stewardeß erbarmte sich seiner oder suchte dankbar seine Nähe, da er nüchtern und still war. Sie erklärte mit knappen Worten, worum es ging. Die gesamte Maschine sei voller Geschäftsleute, die in Moskau eine Woche damit zugebracht hätten, auf Leute zu warten, die nie erschienen, auf Verträge, die nie geschrieben wurden, oder auf Abmachungen, die geändert werden mußten, oder auf Zahlungen, die nicht erfolgten. Alle Passagiere an Bord hatten folglich frustrierendste Niederlagen und Mißerfolge erlitten, und jetzt sollten sie nach Hause und hätten in ihren Zentralen nichts als Prügel zu erwarten und überdies den Auftrag, nächste Woche wieder nach Moskau zu reisen.
    In der Maschine wurde gesungen, gegrölt und gestritten, und einige kurze Augenblicke lang kam es weiter hinten sogar zu einer Schlägerei. Das Rauchverbot wurde souverän mißachtet, und wenn die Stewardessen sich weigerten, noch mehr Alkohol auszuschenken, wurden sie mit Strömen kraftvoller finnischer Flüche und Verwünschungen überschüttet. Wer einen solchen Freitagsflug einmal mitgemacht hatte, vergaß ihn nie mehr.
    Eero Grönroos hätte ihn selbst dann nicht vergessen, wenn alles wie gewohnt gewesen wäre. Oder, richtiger,

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