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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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davon, was mit »Überraschungen« gemeint sein konnte, versicherte aber sicherheitshalber, er habe nichts dergleichen vor. Dann wollte sie eine Antwort auf die Frage, ob es einen Weltkrieg geben werde. Darauf erwiderte er mit einem kurzen Nein, und dann begann die Sendung mit synthetischer Musik.
    In den ersten fünf oder sechs Minuten, bevor Carl auf Sendung ging, wurden Bilder und Berichte verschiedener Korrespondenten gebracht. Zu seinem Erstaunen entdeckte er, daß er im Studio der am wenigsten Nervöse war.
    »Bedeutet dies, Fregattenkapitän Hamilton vom militärischen Nachrichtendienst unseres Landes, daß wir am Rande eines Weltkriegs stehen?« lautete die erste Frage.
    »Nein«, erwiderte Carl, »definitiv nicht. Aus mehreren Gründen. Im Moment sind keine offensiven sowjetischen Truppenbewegungen festzustellen, die sich sozusagen nach außen richten. Es gibt nicht einmal Anzeichen für die Vorbereitung einer Annexion früherer Sowjetrepubliken. Und der Westen wird die Sowjetunion wegen ihrer inneren Auseinandersetzungen selbstverständlich nicht angreifen.«
    »Aber es haben doch mehrere Experten von einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr gesprochen?«
    »Wer von einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr spricht, weiß nicht, wovon er redet.«
    »Wissen Sie es beim Nachrichtendienst denn?«
    Carl lächelte zum ersten Mal, bevor er antwortete. Es war eigentlich ein eher diskretes Lächeln, das jedoch von der elektronischen Kamera stark vergrößert wurde.
    »Lassen Sie es mich so sagen: Wir sprechen jedenfalls nicht von Dingen, die wir nicht wissen.«
    »Bedeutet dies eine Rückkehr zum Kalten Krieg?«
    »Ja, wenn der Staatsstreich gelingt, aber das steht noch längst nicht fest.«
    »Die Kommentatoren der Welt scheinen sich aber vollkommen einig zu sein, daß der Putsch eine Tatsache ist?«
    »Wenn das so ist, wissen die Leute nicht, was sie sagen. Der Putsch ist in sehr kurzer Zeit vorbereitet worden und macht einen deutlich improvisierten, um nicht zu sagen panikartigen Eindruck.«
    »Wissen Sie das?«
    »Ja.«
    »Woher können Sie das wissen?«
    »Nun ja, ohne zuviel zu verraten, kann ich wohl auf Dinge verweisen, die eher Selbstverständlichkeiten als militärische Geheimnisse sind. Wir belauschen sie, verfolgen ihre Vorbereitungen und rechnen aus, welche Truppenkontingente sie einsetzen. Von Interesse ist beispielsweise, daß es im Moment keinerlei Anzeichen dafür gibt, daß militärische Einsätze gegen frühere Sowjetrepubliken vorbereitet werden, etwa gegen die baltischen Staaten.«
    »Es steht mit anderen Worten also keine Besetzung des Baltikums bevor?«
    »Nein, in der jetzigen Lage nicht. Falls ja, hätte Schweden schon vor Stunden mit der Mobilmachung begonnen, doch das ist nicht der Fall.«
    »Was wird als nächstes geschehen?«
    »Wir wissen, was geschehen muß, wissen aber nicht, wie es gehen wird. Die Putschisten müssen die Lage stabilisieren und ihren Sieg sozusagen endgültig sichern. Das haben sie noch nicht getan.«
    »Trotz all der Panzer auf den Straßen Moskaus?«
    »Ja, aber in den Panzern sitzen russische Soldaten, keine Soldaten aus Turkmenistan oder so, was übrigens noch schlechter gewesen wäre…«
    »Verzeihung, daß ich Sie unterbreche, aber woher können Sie das wissen?«
    »Weil sie sich auf russisch miteinander unterhalten, in perfektem Russisch. Nun, wie ich schon sagte, findet die Entscheidung im Augenblick in den Köpfen der russischen Soldaten statt, genau dort, und dorthin reichen unsere Antennen genausowenig wie Ihre.«
    »Das Rennen ist also noch nicht gelaufen, um mal eine Anleihe beim Sport zu machen?«
    »Ja, das läßt sich, glaube ich, mit Gewißheit sagen. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Soldaten über diese Möglichkeit genauso nachgedacht haben wie wir. Die Besatzung jedes russischen Panzers muß sich irgendwann einmal gefragt haben: Was passiert, wenn sie uns befehlen, uns selbst zu besetzen? Und die Frage ist für sie wohl ebenso verblüffend wie für uns.«
    »Aber wenn die Führung sowohl des KGB, das man ja traditionell als eine der Machtsäulen der sowjetischen Gesellschaft ansieht, als auch der Sowjetarmee an dem Putsch teilnehmen, welcher Widerstand ist dann theoretisch überhaupt noch denkbar?«
    »Der Widerstand von Teilen der Sowjetarmee und des KGB, die nicht in führender Position an dem Putsch beteiligt sind, und das dürfte die überwältigende Mehrheit sein. Die entscheidende Frage ist vielleicht eher, ob die russischen Soldaten

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