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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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alles daransetzen werden, ihre eigene Hauptstadt zu okkupieren und auf die eigene Bevölkerung zu schießen. Wir haben schließlich gesehen, wie eng es auf den Straßen ist, und wir haben auch gesehen, wie wenige Todesopfer es gegeben hat. Das spricht gegen die Putschisten.«
    »Sie hätten von Anfang an viel brutaler vorgehen müssen?«
    »Vermutlich ja. Die Zeit arbeitet nicht für sie, doch darauf können wir nicht allzu große Wechsel ziehen. Es gibt noch zu viele Dinge, von denen wir nichts wissen. Zufälle können eine große Bedeutung erhalten. Gorbatschow ist am Leben, wie es scheint, Boris Jelzin ebenfalls, und das erscheint mir als Fehler von Seiten der Putschisten.«
    »Fassen wir zusammen: Wir wissen also nicht, wie es ausgehen wird?«
    »Diese Frage läßt sich mit absoluter Sicherheit beantworten. Nein, wir wissen es nicht.«
    »Vielen Dank, Fregattenkapitän Hamilton.«
    Und damit war es zu Ende. Es wurde ein neuer Film angekündigt, und die Redakteurin nahm Carl bei der Hand und führte ihn hinaus. Er hatte das dumme Gefühl, nicht die Zeit gehabt zu haben, überhaupt etwas zu sagen, bevor es schon zu Ende war.
    In Wahrheit war es das längste Fernsehinterview des Tages, das man gleich nach Beginn der Sendung in andere Sprachen zu übersetzen begann, da man in der Aktuellt -Redaktion sofort erkannte, daß es hier einen Scoop gab. Eine einzige qualifizierte Stimme in der gesamten westlichen Kakophonie von Fernsehsendungen, die etwas Positives zu sagen hatte. Eine eigenständige Meinung, vermutlich völlig falsch, aber mit ausreichend qualifizierter Warenbezeichnung unter Namen und Dienstrang im Text der Mattscheibe, um das Ganze innerhalb der nächsten Stunden auf dem internationalen Fernsehmarkt gut verkaufen zu können.
    Der englische Übersetzer ernannte Carl nach kurzem Grübeln zum »stellvertretenden Direktor des schwedischen Nachrichtendienstes«.
    Als Carl den langen, hangarähnlichen Korridor vor dem Aktuellt -Studio betrat, tat er, was die meisten anderen Menschen tun würden, die zum ersten Mal in einer Nachrichtensendung aufgetreten sind. Er fragte, ob er telefonieren könne, und rief seinen Chef an, um zu fragen, wie es geworden war.
    Er erhielt von Samuel Ulfsson eine sehr heitere und aufmunternde Reaktion. Er überlegte, ob er Tessie anrufen sollte, aber da es bis nach Hause nur ein kurzer Spaziergang war, verzichtete er darauf. Zehn Minuten später saß er zu Hause und sah sich selbst auf dem Bildschirm, da Tessie die Sendung aufgezeichnet hatte.
    Es war ein verblüffendes Erlebnis. Auf dem Nachhauseweg hatte er halb im Laufschritt Fragen und Antworten zu wiederholen versucht und sich ständig dabei ertappt, was er hätte besser machen können.
    Als er jetzt das Ergebnis sah, kam es ihm vor, als ließe er sich durch das Bild von sich selbst überzeugen. Er bekam sofort gute Laune, doch nicht, weil er vermieden hatte, sich zu blamieren, sondern weil es tatsächlich recht hoffnungsvoll klang, was er in dem Interview gesagt hatte.
    Als Tessie ihn fragte, ob er ein Glas Wein wolle, denn er habe doch sicher nicht vor, sich voll geschminkt und in Uniform schlafen zu legen, sagte er mit Feuereifer ja, obwohl er es sonst immer ablehnte, aus alltäglichen Anlässen Wein zu trinken.
    »Einen Far Niente«, sagte er. »Sieh nach, ob wir einen Far Niente aus deiner wilden Heimat haben. Ich glaube, ein paar Flaschen müßten noch da sein.«
    »In deiner wilden Heimat ist nichts mehr so, wie es sein sollte«, seufzte Jelena Mordawina. Das war eine scherzhafte Formulierung, die auf irgendeine Kabbelei zwischen Vater und Sohn anspielte; Saschas Heimat war im Augenblick nämlich Kirgisien. Doch ihr Scherz kam nicht an. Alexej lächelte nicht, versuchte es nicht einmal.
    »Nein«, sagte er geistesabwesend, »in unserer wilden Heimat ist nichts mehr so, wie es sein sollte. Möchte gern wissen, ob Sascha seine Ausbildung da unten in Frunse beenden kann, oder ob die Kirgisen sich auch selbständig machen wollen.«
    »Sie haben doch gesagt, daß sie das vorhaben.«
    »Ja. Und dann werden sie unsere sowjetischen Militärakademien wohl schließen. Was soll eigentlich aus Sascha werden?«
    Das Gespräch verebbte. Endlich waren sie dazu gekommen, einen Ausflug zum Semjonowskij-See zu machen, und für Ende August war das Wetter gar nicht übel.
    Jelena machte sich an ihrem Proviant zu schaffen. Es war ein fürstlicher Proviant, der trotzdem nicht so schmecken würde, wie er es verdiente; geräucherte Sprotten,

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