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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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gesalzener Lachs, Schwarzbrot und sogar Eier sowie einige ausländische Biere in farbenfrohen grünweißen Dosen, aus denen es so lustig spritzte, wenn man sie öffnete. Jelena betrachtete verstohlen ihren Mann. Alexej war immer ein sehr moralisch denkender Mann gewesen, der es sehr genau damit nahm, recht und nach seinem Gewissen zu handeln. Sie hatte manchmal geglaubt, daß er Admiral geworden wäre, wenn er wie andere gewesen wäre und im richtigen Augenblick immer das Richtige gesagt hätte. Er sah immer noch etwas jungenhaft aus. Wie sehr er auch versuchte, es gelang ihm nie, diese Haare unten zu halten, die vom Wirbel abstanden, und er hatte mit seinen dreiundvierzig Jahren noch kein einziges graues Haar. Er hatte immer gesagt, man werde im Leben gut zurechtkommen, wenn man nur ehrlich arbeite und tue, was man für richtig halte. Wichtig sei nicht das Materielle – sie hatte über diese Einstellung manchmal rohe Scherze gemacht –, sondern der moralische und politische Inhalt, den man seinem Leben gebe. Im Augenblick mußte seine Lebensphilosophie also in Trümmern liegen. Die Union befand sich in voller Auflösung, und die Partei war in ganz Rußland verboten worden. Sie hatten das zunächst für einen Scherz gehalten, denn wer war schließlich dieser Jelzin, die Partei zu verbieten, die ihn selbst an die Macht getragen hatte?
    »Ich will verdammt sein, wenn nicht dieser Jelzin hinter allem steckt!« sagte Alexej, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
    »Wieso?« fragte sie abwartend, während sie ihm ein dickes Butterbrot mit echter Butter und Sprotten reichte.
    »Erst macht er wegen des Unionsvertrags Schwierigkeiten und zieht die Verhandlungen in die Länge, dann kommen die Putschisten und schicken Panzer auf Moskaus Straßen und machen andere Dummheiten, während sie saufen wie die Schweine. Dann kommt – ja wer wohl? – unser Held und rettet Gorbatschow. Dann verbietet er die Partei und ruft sich zu unserem neuen Führer aus. Man muß darauf achten, wessen Interessen das nützt. Man muß sich immer die Frage stellen: Wer verdient daran? Und in diesem Fall ist das ja klar.«
    »Sind deine Verschwörungstheorien jetzt nicht ein bißchen reichlich abenteuerlich?« fragte Jelena mit fast nachsichtiger Freundlichkeit. »Ich meine, es müßte ihm schon eine ganze Menge gelingen, wenn er es wagen sollte, auf ein Mißlingen des Putsches zu setzen. Stell dir vor, diese Saufköpfe hätten Erfolg gehabt, ihn erschießen lassen, und wären dann vor Lachen brüllend nach Hause gegangen. Sie hätten dann zufrieden festgestellt, da hat der Scheißkerl bekommen, was er verdient hat.«
    »Du hast natürlich recht«, gab Alexej Mordawin widerwillig zu. »Was du sagst, muß stimmen, aber für mich geht es trotzdem nicht zusammen. Er geht ja mit vollem Bewußtsein daran, die Union zu zerschlagen. Außerdem sagt er, als Präsident Rußlands müsse er für alle strategischen Kernwaffen verantwortlich sein.«
    »Macht dich das besonders besorgt?«
    »Ja. Ich muß mich fragen, womit ich mich selbst jetzt beschäftige. Wenn ich allein schon daran denke! Will er, daß wir alle anderen Republiken entwaffnen, und zwar keineswegs aus Sicherheitsgründen, sondern nur aus Machtgier? Das ist wirklich eine sehr ernste Frage. Eine sehr ernste Frage.«
    »Aber stell dir vor, wenn das, was geschieht, trotzdem eine historische Notwendigkeit ist, wenn es unvermeidlich ist. Mütterchen Rußland braucht doch nicht gleich unterzugehen, nur weil wir mehr Demokratie bekommen«, wandte sie in sanftem Tonfall ein, in der Sache aber hart. Er war sich dessen sehr wohl bewußt.
    »Darum geht es doch nicht«, sagte er und breitete resigniert die Arme aus. »Wer zum Teufel ist denn gegen Meinungsfreiheit und Popmusik? Wenn die jungen Leute sich Popmusik anhören wollen, dann sollen sie es doch tun. Und das politische Leben kann durch Meinungsfreiheit nur gewinnen.«
    Er biß ein Stück von dem dicken, üppig belegten Butterbrot ab und kaute nachdenklich, bevor er fortfuhr und mit dem Brot gestikulierte.
    »Wir hätten mehr Zeit gebraucht. Ich weiß genau, welche Fehler unser System gehabt hat. Das wissen wir beide, aber wir hätten mehr Zeit gebraucht.«
    »Ein halbes Jahrhundert war wohl zuwenig«, unterbrach sie ihn ironisch.
    »Nein, natürlich nicht! Wir brauchen uns da nicht zu streiten. Wenn es die grundlegenden Fragen betrifft, sind wir uns doch immer einig. Was mir aber Sorgen macht, ist all das, was in der Welt geschieht, wenn die Sowjetunion

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