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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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ehemaligen Sowjetrepubliken. Wahrscheinlich werde es in Estland beginnen. Die künftige Strategie werde darauf hinauslaufen, sich mit Gewalt eine Sowjetrepublik nach der anderen wiedereinzuverleiben, etwa in einer Art Domino-Taktik. Gegen Ende dieses Prozesses werde die Geschwindigkeit der rein militärischen Operationen eskalieren. Die letzten ehemaligen Sowjetrepubliken würden sich kampflos ergeben.
    Unmittelbare Konsequenz: Das Risiko eines neuen Weltkriegs war größer als je zuvor. Denn wenn die Sowjetunion in ihrer alten Form erst einmal zementiert war, entstand natürlich die Frage, was mit den ehemaligen Satellitenstaaten geschehen sollte. Schon die Frage war gefährlich. Denn wenn die Sowjetunion glaubte, im Westen würde erwartet, daß sie beispielsweise in der Tschechoslowakei, Ungarn oder schlimmstenfalls sogar in Ostdeutschland zuschlagen wollte, stellte sich die Frage, ob das nicht der casus belli sei, also der Auslöser der endgültigen Auseinandersetzung mit Kernwaffen. Allerdings, erklärte der Friedensforscher tröstend, sei es auf kurze Sicht unwahrscheinlich, daß die Sowjetunion ihre Interkontinentalraketen so im Griff habe, daß sie ohne weiteres einen Weltkrieg beginnen könne.
    Beata glühte vor Entrüstung. Sie wußte natürlich, was in den letzten vierundzwanzig Stunden an echten Erkenntnissen eingegangen war, denn sie saß weniger als eineinhalb Meter von der Tür ihres Chefs entfernt.
    Carl lümmelte sich in einen Sessel, die Hände tief in den Hosentaschen und die Schirmmütze über den Augen.
    »Derart kategorische Aussagen sind nicht ganz risikofrei«, brummte er. »Ich frage mich wirklich, ob das nicht das Dümmste gewesen ist, was ich in meinem ganzen Leben gehört habe.«
    »So, jetzt mache ich denen Beine!« sagte Beata. Sie stand so heftig auf, daß sie dabei den Sessel hinter sich umkippte, und trat ans Telefon.
    »Willst du ihn festnehmen lassen?« fragte Carl und schob die Mütze hoch, so daß er feststellen konnte, daß sie tatsächlich anrief. »Du hast doch wohl nicht vor, Rapport anzurufen und um Sendezeit zu betteln?«
    »Nein, keine Rede davon!« schnaubte sie. »Ich rufe Aktuellt an.«
    Carl erhob sich schnell und machte Anstalten, sie daran zu hindern, doch sie riß den Hörer zur Seite.
    »Dummkopf!« brüllte sie. »Du glaubst doch nicht, daß ich Aktuellt direkt anrufe. Hallo? Hallo, bist du es, Björn, hej, hier ist Beata vom USK… ja, ihr habt natürlich alle Hände voll zu tun, aber das ist nichts gegen das, was wir hinter uns haben… Nun, wen hat Aktuellt für die Abendvorstellung gemietet?«
    Sie kicherte leicht und legte die Hand auf den Hörer, sobald sie die Antwort gehört hatte.
    »Die haben sich diesen Admiral von der Militärhochschule gesichert«, flüsterte sie fröhlich und wandte sich dann wieder dem Unbekannten am Telefon zu.
    »Du, hör mal! Ruf sie an und sag ihnen, daß sie einen offiziellen Sprecher des USK in Gestalt von Fregattenkapitän Hamilton kriegen können, falls sie ihn zufällig diesem Admiral vorziehen sollten… Wie bitte? Ja, der OB hat das Arrangement gebilligt. Genau, der OB persönlich.«
    Sie knallte den Hörer auf die Gabel, kehrte mit klappernden Absätzen zu ihrem Platz zurück und hob ihren umgekippten Sessel auf. Carl war in seiner Verblüffung nicht auf die Idee gekommen, ihr das abzunehmen, bevor sie die Arbeit selbst erledigt hatte.
    »Jetzt wollen wir mal sehen«, sagte sie zufrieden, »ob es mehr als fünf Minuten dauert.«
    Es dauerte vier Minuten.
    Eine Dreiviertelstunde später war Carl zum ersten Mal in seinem Leben geschminkt. Er fühlte sich, als sollte er auf eine Cabaretbühne treten und nicht vor die Nation.
    In der Maske wimmelte es von Personen mit unklaren Funktionen, die ihn gleichzeitig fragten, warum er sich zur Verfügung stelle, wie so etwas möglich sei und ähnliches, was er mühelos beantworten konnte. Die Erkenntnisse, die der schwedische Nachrichtendienst hatte oder nicht hatte, waren in der jetzigen Lage von allgemeinem Interesse. Es war nichts, was unter Geheimstempeln in Archiven zu Bedeutung heranreifen sollte, wie Sam gesagt hatte.
    Kurze Zeit später saß er einer Frau gegenüber, die er schon oft auf dem Bildschirm gesehen hatte, und es fiel ihm schwer zu akzeptieren, daß sie auch außerhalb einer Sendung und ohne Manuskript sprechen konnte. Sie war sichtlich nervös und fragte indirekt, ob Carl mit irgendwelchen »Überraschungen« aufwarten wolle.
    Carl hatte keine rechte Vorstellung

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