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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Westen kräftig ab. Es war ein wunderbares, schönes Gefühl, als der Blutkreislauf in den Kapillaren wieder in Gang kam; sie erklärte ihm, was dabei geschah.
    Er frottierte sich dann selbst ab und zog seinen Trainingsanzug an. Er strich das nasse Haar mit den Händen zurück, bevor er den Picknickkorb zu sich nahm. Nach einem Blick auf seine blaugefrorene Frau überlegte er es sich anders und rückte näher an sie heran, um ihr etwas von seiner Wärme abzugeben.
    Erst dann wühlte er im Korb weiter. Sie aßen eine Zeitlang mit wachsendem Appetit, und er erkundigte sich vielsagend nach dem, was der junge Pjotr gerade vorhabe. Sie erwiderte, soviel sie wisse, seien Pjotr und seine Kameraden draußen im Fjord und angelten Dorsch. Wahrscheinlich würden sie in den nächsten Tagen eher frischen Fisch essen statt gesalzenen. Er fuhr dann mit übertriebener Betonung fort und bot ihr ein Ende ihres Leidens in der sogenannten Kälte an. Sie sollten lieber nach Hause gehen und sich aufwärmen. Sie ließ sich nicht lange bitten. Sie wollten gerade ihre Sachen einpacken, als Kolja wie ein Schatten aus dem Nichts hinter ihnen auftauchte. Alexej Mordawin würde sich später exakt an den Augenblick erinnern.
    »Guten Tag, Onkel, guten Tag, Tante. Aha, ihr badet und amüsiert euch in dieser schwierigen Zeit des Vaterlandes«, begrüßte er sie, als wäre es keine Ironie.
    Er erklärte, es sei etwas Ernstes passiert, und bat um ein Gespräch mit seinem Onkel unter vier Augen. Das war eine seltsame Bitte. Normalerweise nahmen sich junge Leute nie solche Freiheiten heraus. Aber so wie die Dinge sich entwickelt hatten, war es nicht mehr so leicht, Kolja etwas auszuschlagen. Sie gingen schweigend ein Stück abseits. Kolja blinzelte in die Sonne, die das große Siegesdenkmal auf der anderen Seite des kleinen Sees in eine schwarze Silhouette verwandelte, sagte eine Zeitlang aber nichts. Er wies auf eine leere Parkbank, sah sich um und setzte sich als erster hin.
    Alexej Mordawin witterte natürlich sofort Unrat. Doch nicht einmal mit einem Höchstmaß dessen, was seine Frau gelegentlich seine Neigung zu konspirativem Denken nannte, hätte er vorhersehen können, wohin das Gespräch jetzt führte.
    »Wir haben ein Problem, und die Situation ist sehr ernst, Onkel Alexej«, begann der junge Kolja auf eine Weise, die das Gespräch nicht einen Millimeter weiterbrachte. Alexej Mordawins Augen wurden schmal vor Mißtrauen, doch er sagte nichts.
    »Es geht kurz gesagt darum, daß wir einiges militärisches Material organisieren müssen. Es ist sehr dringend. Außerdem geht es um sehr viel Geld, und ich kann nicht leugnen, daß wir zu einem Teil auf Ihre Hilfe angewiesen sind, Onkel Alexej.«
    Endlich war er mit etwas herausgerückt. Die Frage war nur, womit. Alexej Mordawin ordnete seine Gedanken, bevor er einige sehr kurze und seiner Meinung nach präzise Fragen stellte.
    »Wer sind wir ? Was ist so dringend? Was für Material? Meinst du mit organisieren das, was ich glaube?«
    »Auf die letzte Frage kann ich mit ja antworten«, begann Kolja mit einem leichten Seufzen. Er tat, als betrachtete er eine Mantelmöwe, die ein Stück weiter weg im Sturzflug auf die Reste eines Butterbrots niederschoß. »Was die Frage betrifft, wer wir sind, läßt sie sich nicht so leicht beantworten. Ich kann nur sagen, daß nicht nur Sie und ich dazugehören. Und schließlich. Die Art von Material, von der wir sprechen, sind die Gefechtsköpfe der landgestützten Version Ihrer Störe.«
    Damit hielt Kolja Mordawin inne.
    Alexej Mordawin bekam für einen kurzen Moment die Vision, verrückt geworden zu sein. Er saß auf einer verwitterten Parkbank aus Zement. Unter seiner linken Hand ragte ein Stück Stahldraht aus dem zerbröselten Mauerwerk. Er spürte den verrosteten Stahldraht deutlich und dachte, das ist aber gar nicht gut. Wenn ein Kind mit einem Eis in der Hand angelaufen kommt und sich zu eifrig hinsetzt und zu schnell, kann es sich weh tun. All das war absolut greifbare Wirklichkeit.
    Doch gleichzeitig saß sein Neffe neben ihm und sagte mit sichtlich vollem Ernst, man solle ein Exemplar der Waffe aller Waffen stehlen. Keiner von ihnen war verrückt; nur das, was gesagt worden war, deutete darauf hin. Alexej Mordawin beschloß, nicht gleich loszuprügeln und nicht aufzubrausen. Er mußte verstehen. Zunächst ging es nur darum, zu verstehen.
    »Was um Himmels willen bringt dich zu der Annahme, ich, ein Kapitän zur See der Sowjetflotte, könnte mich an

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