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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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landwirtschaftliche Areal, das dazugehörte, war zum größten Teil verpachtet. An der Grenze des Hausgrundstücks begann jedoch ein Gehege mit Dam und Rotwild. Wenn man oben im Haus stand und zum Wasser hinuntersah, hatte man den Eindruck, als spazierten die Hirsche im Garten umher. Es war schwindelerregend schön.
    Nichts von all dem konnte falsch sein. Die Fahrtzeit zu IBM in Kista oder zum Generalstab am Lidingövägen konnte in keiner Jahreszeit und bei keinem Straßenzustand mehr als vierzig Minuten betragen.
    Nach außen hin und in ästhetischer Hinsicht war alles vollkommen. Sie fürchtete sich jedoch, in einem so großen Haus allein zu sein. Sie dachte an dunkle schwedische Herbstund Winterabende, an Sturm und Regen, der gegen die Fensterscheiben peitschte, lauter solche Dinge, an knarrende Äste, und dann allein zu Haus.
    Er entgegnete, so müsse es durchaus nicht werden. Er sei jetzt an den Schreibtisch gebunden, halbwegs so etwas wie ein »Sprecher« des Generalstabs und für Undercover-Aufträge im Ausland definitiv nicht mehr zu gebrauchen. Sie werde nicht allein sein müssen. Als er es sagte, glaubte er selbst daran.
    Von einigen anderen Überlegungen teilte er ihr jedoch nichts mit. Er war das Grundstück abgeschritten und hatte sich ein Alarmsystem ausgedacht und überlegt, wo man Fernsehkameras unterbringen konnte. Er hatte überlegt, wie man die Eisengitter verstärken und mit elektronischen Schlössern versehen konnte, die sich vom Auto oder vom Haus aus öffnen ließen. Er wollte bei Gelegenheit einmal mit Åke Stålhandske hinausfahren, um sich alles anzusehen. Doch darüber sagte er nichts, aus dem einfachen Grund, weil diese Überlegungen nichts mit dem Domizil zu tun hatten. Sollten sie eine große Wohnung in Stockholm beziehen, würde es dort genauso sein. Meschuggene und Sizilianer stellten die größte Bedrohung dar. Verrückte gab es immer. Sie konnten den Ministerpräsidenten genausogut erschießen wie einen bekannten Offizier. Und unten auf Sizilien gab es wohl immer einige, die auf Rache sannen und genügend Artikel über ihn gelesen hatten, um sich eine Reise nach Schweden zu überlegen. Er dachte nicht näher darüber nach, da er schnell zu dem Ergebnis kam, daß es kaum leichter sein konnte, aus Sizilien anzureisen und sich nach einem Hamilton durchzufragen, als umgekehrt für einen Schweden, nach Palermo zu reisen und sich nach einem Don Tommaso zu erkundigen.
    Sizilianer würden in Schweden auf dem Land einiges Aufsehen erregen. Nein, ein solcher Auftrag ließe sich in einer Großstadt leichter durchführen als hier draußen. Vom Haus aus hatte man in alle Richtungen auf mehrere hundert Meter freie Sicht. Als sie das zweite Mal hinausfuhren, entschied sie sich. Später glaubte er immer, daß er den Hirschen die Entscheidung zu verdanken hatte.
    Es war am Abend, nachdem er, wie er hoffte, sich im Fernsehen zum letzten Mal zum Affen gemacht hatte. Eigentlich hatten sie hinausfahren wollen, aber vielleicht war es ein Glück, daß sich das Ganze um vierundzwanzig Stunden verzögerte. Vielleicht hätte es am Abend davor nicht diesen leichten Nebel gegeben, der die ganze Landschaft in einen zarten Schleier hüllte.
    Der Nebel war nicht dicht. Er lag wie Rauch in unregelmäßigen, phantasievollen Mustern in der Nähe der Wasseroberfläche unten an den Anlegern, im Hirschgehege in Höhe der Baumwipfel, und hüllte die Reihen roter Rosen neben dem Kiesweg zur Seeseite des Hauses in einen zarten Schleier.
    Ihm kam ein Einfall. Er öffnete das Tor zum Hirschgehege, und sie spazierten in den Nebel hinein. Ein paar Minuten lang sahen sie nichts, und er mußte ihr versichern, die Hirsche seien nicht gefährlich, sondern fast zahm.
    Sie begegneten plötzlich zwei recht jungen Hirschen. Diese standen vollkommen still und bewegten sich nicht, als wären sie Skulpturen der Natur. Tessie preßte ihm die Hand, und sie gingen näher und näher. Erst als sie auf etwa einen Meter herangekommen waren, scheuten die Tiere, wirbelten herum und verschwanden röhrend im Nebel. Es war ein eindrucksvolles Erlebnis. Er würde für immer glauben, daß es etwas zu bedeuten hatte, selbst mehrere Jahre später noch, als jemand, der es besser wußte, ihm erklärte, das eigentümliche Verhalten der Hirsche habe bei dieser Gelegenheit etwas mit der Brunft zu tun gehabt.
    Sollte er das glauben? Die Tiere hätten in reinem Brunftwahnsinn angreifen können, doch jetzt fand der Wahnsinn darin Ausdruck, daß die Hirsche

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