Niemandsland
noch einmal überlegen. Und während ich gerade eifrig
damit beschäftigt war, kam ein dritter Bursche aus dem Wohnwagen und ging zu
dem Schlitzauge. Das Schlitzauge stieg in einen von den Jeeps und fuhr davon —
auf Patrouille, nehme ich an. Der andere holte sich einen Klappstuhl und setzte
sich in die Sonne. Ich sah ihn mir näher an und entdeckte, daß auch er ein
Schlitzauge war. Und ein Gewehr hatte.«
»Und was haben Sie dann gemacht?«
»Was jeder vernünftige Mensch getan
hätte — nichts wie weg.«
»Ich dachte, Sie hätten mit einem der
Wächter gesprochen?«
»Wer hat Ihnen das erzählt?«
»Hy Ripinsky.«
Einen Moment sah sie mich mit leerem
Blick an, dann lachte sie grölend los. »Der Hurensohn hat mir geglaubt! Ich
habe ihm gesagt, ich hätte dem Burschen einen Fick angeboten, wenn er mir sagt,
was dort vor sich geht, und Ripinsky hat es mir geglaubt!«
»Warum haben Sie das gesagt?«
»Weil Ripinsky mir auf den Nerv geht.
Es macht mir Spaß, ihn zu schockieren. Außerdem war es eine nette Geschichte.«
»Und warum haben Sie ihn angeschrien,
als Sie aus dem Wohnwagen kamen?«
Ihr Mund bekam einen harten Zug. »Der
Hurensohn hat mich eine intolerante Person genannt.«
»Weil Sie gesagt hatten, die Wächter
seien Chinesen?«
»Hm. Irgend etwas Sonderbares geht da
oben vor, vielleicht eine kommunistische Verschwörung. Man sollte meinen,
Ripinsky macht sich Gedanken. Er ist schließlich in der Welt herumgekommen und
weiß, wie die Dinge laufen. Aber nein, das einzige, was er sagt, ist, daß ich
dummes Zeug rede und sie nicht Schlitzaugen nennen soll.«
Ich schwieg eine Weile und dachte über
das nach, was sie mir erzählt hatte. Lily nahm es als Mißfallensäußerung und
sagte zu ihrer Verteidigung: »Ich bin nicht intolerant. Ich mag hur keine
Schlitzaugen — weder Japaner noch Chinesen. Bei Indianern ist das... Also, ich
sehe an Ihrem Gesicht, daß Sie indianisches Blut haben. Ich bin mit Indianern
aufgewachsen. Ich glaube, sie sind genauso gut wie ich.«
»Aber Sie sind nicht unter Asiaten
aufgewachsen.«
»Verdammt, nein.« Aber sie lächelte.
Lily Nickles war klug genug, längst zu wissen, worauf ich anspielte. Ich fragte
mich, wieviel von ihrem rassistischen Geschwätz nur dick aufgetragen war, genau
wie gegenüber Ripinsky.
Ich dachte weiter über die Situation
oben auf dem Gelände auf der Mesa nach. Dabei kristallisierte sich eine
Tatsache heraus, die mich störte: »Lily, da Earl Hopwood nun einmal
Goldschürfer ist — warum hat er da nicht selbst auf dem Stück Land geschürft,
das ihm in der Mesa gehörte, anstatt es zu verkaufen?«
»Um das zu verstehen, müßten Sie Earl
kennen. Erstens sucht er — wenn überhaupt — kein Erz, sondern
Goldablagerungen, wie ich auch, Gold, das durch Erosion von seinem
ursprünglichen Platz weggespült worden ist. Wenn Sie aber an die Adern wollen,
die da oben noch übrig sind« — sie zeigte auf die Mesa — , »dann müssen Sie Bergbau
im harten Felsgestein machen. Graben, sprengen, Stollen treiben. Kostet mehr
Geld. Und ist eine verdammt harte, gefährliche Arbeit. Earl Hopwood war zu faul
dazu, und dann kamen sie.«
»Okay, ich verstehe, warum er das Gold
nicht abgebaut hat. Aber warum hat er das Land so weit unter dem Marktwert
verkauft?«
»Hat es zu billig verkauft, wie? Na,
was soll ich Ihnen dazu sagen?« Sie zuckte mit den Schultern. »Earl ist ein
Dummkopf. In der Familie war die nötige Gehirnmasse schon vor Generationen
aufgebraucht. Wahrscheinlich schien es ihm eine Menge Geld.«
»Er muß doch gemerkt haben — «
»Earl merkt überhaupt nichts. Ich sage
Ihnen, wir reden hier über die personifizierte Dummheit. Seine Hütte da drüben?
Er ging hin und baute sie ausgerechnet auf einem Stück Land, wo man noch nie
ein einziges Nugget gefunden hat.«
»Ripinsky sagt, der Bach fließt dort
durch. Findet man nicht dort die Goldablagerungen?«
»Sicher, aber er fließt zu schnell. Man
braucht dazu langsam fließendes Wasser — eine Biegung im Flußlauf, tiefe
Stellen, Kiesbänke — , dort wird das Gold angeschwemmt.«
»Ist die Suche nach solchen Stellen
das, was Sie mit ›im Fluß lesen‹ meinten?«
»Zum Teil. Es ist eine einfache Sache.
Jeder Trottel kann das. Aber kein Earl Hopwood. Statt dessen geht er hin und
baut seine Hütte auf einem Stück Land, das er nie besitzen und auf dem er nicht
einmal seinen Claim abstecken kann.«
Am frühen Morgen hatte ich die Akte
durchgelesen, die mir Anne-Marie über Claims
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