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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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machten
uns zum Mother Lode auf, haben rund um Jamestown eine Menge Gold gefunden und
sogar für eine Weile eine eigene Bar gehabt. Hatten auch ein paar Kinder.«
    Sie machte eine lange Pause und fuhr
dann sanft fort: »Er ist tot, schon ein paar Jahre. Ich möchte darüber nicht
reden. Meine Kinder — ich weiß nicht. Das Jugendamt hat sie mir weggenommen.«
Ihre Augen verschleierten sich, und sie wischte sich wütend darüber. »Warum,
zum Teufel, erzähl ich Ihnen das eigentlich alles?«
    Ich zuckte mit den Schultern und leerte
meine Bierdose. »Vielleicht liegt es an der Gegend hier — Stone Valley,
Promiseville. Die Einsamkeit bringt einen zum Reden, wenn jemand da ist.«
    »Ja, einsam ist es hier. Die Nächte —
also, es ist so still hier draußen, daß es mich beinahe verrückt macht. Ich
sitze auf meiner Veranda und sehe in die Ferne, und was sehe ich? Diesen
Friedhof. Er ist voller Leute, deren Träume gestorben waren. In manchen Nächten
kann ich nur an diese Leute denken, die herkamen, um reich zu werden, und es zu
nichts als einem Kiefernsarg brachten. Und ich habe Angst, daß es mir eines
Tages genauso gehen wird.«
    »Aber Sie gehen nicht weg.«
    »Ich weiß nicht, wohin. Es gibt keinen
Ort, wo ich im Augenblick sein möchte.« Sie biß sich auf die Lippe und sah von
mir weg.
    Ich spürte, daß sie mehr dazu nicht
sagen konnte, und so sagte ich: »Erzählen Sie mir, was Sie im Minenbereich
gesehen haben.«
    Lily Nickles war an dem Stein nach
unten gerutscht. Jetzt setzte sie sich wieder auf und schüttelte den Kopf, als
wolle sie ihn freimachen. »Da drüben«, sagte sie. »Also, ich habe mich eine Zeitlang
gewundert, daß dort gar nichts passierte. Keine dicken Lastwagen auf der
Zufahrtstraße, keine Sprengungen, nichts, aus dem man hätte schließen können,
daß Probebohrungen stattfanden. Darum dachte ich mir, ich gehe mal los und sehe
mich um...«
    Das war vor zwei Tagen gewesen. Sie war
bei Tagesanbruch die Mesa hinaufgestiegen und hatte einen Umweg über die
Nordseite gemacht, wo große Brocken Granit Deckung bieten. Es war ihr nicht
bewußt, warum sie glaubte, sich versteckt halten zu müssen, aber ein Instinkt
sagte ihr, daß es gut wäre.
    »Und es hat sich herausgestellt, daß
ich recht hatte«, sagte sie.
    Die Sonne war an jenem Morgen gerade
hinter den fernen Bergen von Nevada aufgegangen. In ihrem Licht hatte sie
gesehen, daß das Gelände auf der stadtabgewandten Seite der Mesa frisch
planiert und terrassiert war. Das Grundstück war scheinbar komplett von einem
elektrisch geladenen Maschendrahtzaun umgeben. Vier Wohnwagen standen in der
Nähe des Tors zur Zufahrtstraße, und neben ihnen parkten ein paar Fahrzeuge.
    Lily Nickles »glitt«, wie sie sich
ausdrückte, »wie eine Schlange« zu einem guten Aussichtspunkt und betrachtete
das Gelände durch ihr Fernglas. Nichts wies darauf hin, daß die alte Mine
wieder arbeitete, und es deuteten auch keinerlei Geräte auf baldige Probebohrungen
hin. Sie beobachtete, wie ein Mann aus einem Wohnwagen kam und zu einem
Schuppen gleich neben dem Tor ging. Er rief jemandem drinnen etwas zu, und dann
kam ein zweiter heraus und ging zum Wohnwagen.
    »Da begriff ich, daß sie Wachen auf dem
Gelände aufgestellt hatten«, sagte sie. »Wieso mußten sie es bewachen, wenn
doch gar nichts da war? Das wollte ich herauskriegen.«
    Sie hatte beschlossen, daß der direkte
Weg der beste war, und war zur Zufahrtsstraße gegangen, wobei sie stets im Auge
behielt, was auf der Wachstation geschah. »Ich dachte, ich würde mich als
Nachbarin vorstellen. Irgend etwas sagen in der Art: ›Bin ein wenig
herumgestrolcht und dachte mir, halt mal an und schau nach, wie so eine echte
Mine funktioniert‹. Nur, als ich näher kam, sah ich, daß der Bursche am Tor
eine schwere Magnum an der Hüfte hatte und neben sich ein großkalibriges
Gewehr. Und ich möchte verdammt sein — es hat mir regelrecht einen Schlag
versetzt — , wenn das kein Chinese war.«
    Als ich nicht reagierte, sah Lily mich
finster und ungeduldig an. »Haben Sie mir nicht zugehört? Ein Chinese.«
    Ich erinnerte mich, was Ripinsky uns
von Lilys Theorien über die ›Gelbe Gefahr‹ erzählt hatte. Um unsere gute
Beziehung nicht zu belasten, gab ich mir alle Mühe, schockiert auszusehen.
    Lily nickte, als teilten wir ein
besonderes Wissen. »Von denen hat es hier keinen mehr gegeben, seit sie den
Chinaman in den Achtzehnfünfzigern gehängt haben. Als ich den Mann sah, dachte
ich, ich sollte es mir

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