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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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greifen. Eindeutig
ein übriggebliebener Hippie.
    »Meine Freundin sagte mir, du wärst
gestern nicht gerade gastfreundlich zu ihr gewesen«, sagte Lily. »Du solltest
lieber aufpassen, was du mit der Flinte da anstellst, Bayard. Könnte dir einen
Haufen Schwierigkeiten einbringen.«
    Der Mann zuckte mit den Schultern und
spuckte zur Seite. »Dachte, sie käme vom Jugendamt und wollte wissen, warum die
Kinder nicht in der Schule sind.«
    Kinder? Ich sah zum Schuppen hinüber
und entdeckte ein kleines bleiches, ängstliches Gesicht am Türpfosten
vorbeiäugen. Es zog sich sofort zurück, als seine blassen Augen meinen Blick
trafen.
    Lily lachte. »Kein Mensch kümmert sich
darum, ob diese Kinder in die Schule gehen — sie sind einfach zu blöd, verdammt
noch mal.«
    Ihre Bemerkung ließ Bayard kalt. Er
nickte nur. »Blöd wie nur was, was soll’s? Was will deine Freundin wissen?«
    Ich wollte etwas sagen, aber Lily
antwortete für mich. »Dasselbe Zeug, das diese drei Spinner auch schon wissen wollten.
Ob du jemals von Franklin Tarbeaux gehört hast.«
    »Ich habe ihnen gesagt, nein.«
    »Und wie ist es mit Michael Erickson —
kurz: Mick?«
    »...Auch nicht.«
    »Wann hast du Earl Hopwood zum
letztenmal gesehen?«
    Bayard kratzte sich am Kopf. »Hopwood?«
    »Ja, du kennst ihn — den alten Kerl
oben bachaufwärts.« Sie sah mich an und sagte, ohne die Stimme zu dämpfen: »Sie
müssen Geduld haben mit Bay. Er hat damals in den Sechzigern ein paar Drogen
zuviel genommen.«
    Auch die Bemerkung schien an ihm
abzugleiten. Ich bekam langsam das Gefühl, als sprächen wir hier zwei
verschiedene Sprachen mit Lily als Dolmetscherin. Nach einer Weile schien
irgendein rostiger Mechanismus bei ihm in Gang zu kommen, denn Bayard sagte:
»Der alte Earl. Habe ihn erst letzte Woche zu seinem Claim vorbeifahren
gesehen. Fuhr verdammt zu schnell für seinen Wagen — muß noch älter sein als
meiner.«
    Lily Nickles warf mir einen Blick zu
und runzelte die Stirn. »Du bist sicher, daß es letzte Woche war, Bay?«
    Der Mann sah leicht gereizt aus. »Klar
bin ich sicher. Vergangenen Mittwoch war es. Ich weiß es, weil gerade mein
Scheck gekommen war.«
    »Mit Earl geredet?«
    »Habe ihm zugerufen, er soll langsamer
fahren.«
    »Ihn danach noch mal gesehen?«
    »Nee.«
    »Dann besten Dank, Bay. Schönen Gruß
von mir an deine bessere Hälfte.«
    Ohne ein weiteres Wort wandte er sich
zum Schuppen.
    »Er lebt hier mit Familie?« fragte ich
erstaunt.
    Lily grinste verschlagen. »Na klar.
Rührt ganz schön an Ihre Mittelklassen-Denkweise, wie?«
    Ich ging auf ihren Kommentar nicht ein
— wahrscheinlich, weil sie zu genau den Kern getroffen hatte. »Meinen Sie, er
hat die Wahrheit gesagt?«
    »Sehr wahrscheinlich. Der Scheck, von
dem er sprach, kommt vom Arbeitsamt. Er ist der zentralste Punkt in Bays Leben.
Alles bezieht sich auf die Zeit vor oder nach Ankunft des Schecks.«
    »Trotzdem könnte es eine andere Woche
gewesen sein.«
    »Nein, so weit reicht Bays Gedächtnis
nicht zurück. Wenn er sagt, es war letzte Woche, dann war es letzte Woche. Wie
wäre es, wenn wir beide jetzt zu mir gingen, damit wir aus dieser Sonne
herauskommen?«
    Ich war einverstanden, und wir
wanderten schweigend zurück. Lily fragte mich, ob ich auf ein Glas Wasser zu
ihr hereinkommen wolle. »Ich würde Ihnen ein Bier anbieten«, setzte sie hinzu,
»aber es ist mir ausgegangen. Außerdem würde mein Magen heute nicht einmal den
Anblick eines Biers vertragen.«
    Ich hätte mich zu gern davongemacht,
aber ihr sehnsüchtiger Augenausdruck machte mir mehr als deutlich, daß sie mich
nicht gern gehen sah. Und so sagte ich: »Wasser ist prima.«
    »Dann kommen Sie rein.«
    Im Haus war es überraschend kühl. Ich
folgte Lily durch einen engen Flur, in dem die Blumentapete von den Wänden
pellte, und durch einen Vorraum voller Schürfgerät. Den Ehrenplatz mitten auf
dem Fußboden nahm die Ansaugpumpe auf einem Flickenteppich ein. In einem
anderen Zimmer lag eine Sprungfedermatratze mit einem Schlafsack darauf.
Kleider hingen an Nägeln. Alle anderen Zimmer standen leer bis auf ein paar
Sachen, die die ursprünglichen Einwohner zurückgelassen hatten. Die Küche war
im hinteren Teil des Hauses: eiserner Herd, Tisch mit gesprungener
Emailleschicht, Spülbecken mit Abtropfbrett, Regale mit Geschirr und
Küchenutensilien. Im Spülbecken standen ein paar große Flaschen mit Wasser.
    »Wasser aus dem Bach«, erklärte Lily,
während sie nach zwei Plastikbechern griff und

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