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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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sie nicht vor jedermann ausbreite... Sie erinnern sich
an neulich abends, als ich sagte, ich hätte meine Midlife-Crisis mit
neununddreißig gehabt?«
    Ich nickte.
    »Also, meine Frau hatte mich verlassen.
Ich weiß, das klingt nicht besonders außergewöhnlich. Im Silicon Valley lassen
sich die Leute dauernd scheiden. Männer verlassen ihre Frauen wegen ihrer
Sekretärinnen. Frauen verlassen ihre Männer wegen eines Kollegen oder ihres
Chefs. Teufel auch, zwei Freundinnen meiner Frau haben ihre Männer wegen des
jeweiligen Mannes der Freundin verlassen. Aber wissen Sie, was einer der Gründe
war, die meine Frau für die Scheidung anführte?«
    »Sagen Sie es mir.«
    »Weil ich so langweilig war, daß sie
sich jeden Morgen in Erinnerung rufen mußte, daß ich existierte.« Sein Schmerz
war nun offen sichtbar. »Wie finden Sie das? Für meine eigene Frau war ich eine
Null!«
    Hätte ich seine Geschichte aus zweiter
Hand gehört — wäre er zum Beispiel einer von Hanks Klienten gewesen, von denen
einige die komischsten Scheidungen hinter sich gebracht haben, die mir bekannt
sind — , dann hätte es mich amüsiert. Aber hinter seiner Empörung steckte so
deutlich Verletztheit, daß ich seine Erzählung überhaupt nicht komisch fand.
Ich sagte: »Ihre Frau hatte wohl nicht viel Tiefe und Mitgefühl, wie?«
    Es war die richtige Antwort gewesen.
Sandermans Gesicht entspannte sich. »Nein, das hatte sie nicht. Aber in einem
hatte sie recht — ich bin langweilig.«
    Ich lächelte. »Langweilig und stolz
darauf — das ist der Witz. Aber um auf Erickson zurückzukommen, Ned: Sie
sollten im Sheriff-Büro anrufen und Kristen Lark oder Dwight Gifford erzählen,
was Sie wissen.«
    »Das habe ich vor. Und was ist mit...«
    »Wegen Anne-Marie und Hy machen Sie
sich keine Sorgen. Wir sagen einfach, Sie wären erst bei unserem Gespräch heute
morgen auf eine Verbindung zwischen dem Toten und Ihrem Mick Erickson
gekommen.«
    »Danke.«
    Ich stand auf. »Keine Ursache.«
    »Und danke fürs Zuhören. Ich habe
Ihnen, seit Sie hier sind, eine Menge erzählt, aber richtig unterhalten haben
wir uns weniger.«
    »Wenn Sie mit mir reden wollen, ich bin
jederzeit bereit. Und, Ned, sollte ich jemals zu sticken anfangen, wird meine
erste Arbeit ein Kissen für Sie sein, auf dem steht — «
    »Ich weiß: »Langweilig und stolz darauf.‹«
     
    Zwei Stunden später, ich kam gerade von
einem langen Marsch am Seeufer zurück, wankte mir Lily Nickles, grün und grau
im Gesicht, den Hügel herab entgegen. Sie krümmte sich nur, als ich ihr ein
Frühstück anbot, aber sie war bereit, mich zu den anderen Goldschürfern im Tal
zu führen. Auf dem Weg in die Stadt zu ihrem Jeep fragte ich sie, wie es mit
Rose Wittington gegangen sei, aber sie wollte nicht darüber reden. Alles, was
sie sagte, war: »Die Frau ist total übergeschnappt.«
    Wegen der frühen Stunde hielt sich im
Stone Valley noch die Nachtkühle. Aber als Lily mit der unfehlbaren Nase der
geborenen Fährtensucherin die beiden Goldschürfer aufgestöbert hatte, die ich
nicht hatte finden können, wurde es langsam wärmer. Keiner konnte mir etwas
über Michael Erickson erzählen, auch nicht unter seinem anderen Namen Tarbeaux.
Keiner hatte in den beiden letzten Wochen Earl Hopwood gesehen. Als wir am
Lager des Mannes mit der Flinte ankamen, fing ich an, mich zu fragen, ob diese
Herumrennerei in der Hitze die Sache eigentlich wert war.
    Die Behausung des Mannes bestand bloß
aus einem Holzschuppen mit Teerpappe und Blechverkleidung. Nebenan stand ein
zerbeulter VW-Kombi, angemalt mit psychedelischen, langsam verblassenden
Mustern. Lily blieb ein paar Meter entfernt stehen und rief nach dem Bewohner.
Er kam hervor, das Gewehr in der Armbeuge. Er war dick und ein wenig schwammig.
Sein Anzug bestand aus schäbigen Jeans und einer offenen Lederweste. Der
Vollbart hing ihm fast bis zum Gürtel, und seine verfilzten Locken wurden von
einem blauen Stirnband zusammengehalten. Eine Kreuzung zwischen Wüstenratte und
übriggebliebenem Hippie, dachte ich. Als er uns sah, baute er sich breitbeinig
auf, aber die Flinte hob er nicht.
    »He, Bayard«, sagte Lily Nickles, »ich
bin hier mit einer Freundin, die dich etwas fragen will.«
    Bayard stand nur da.
    Lily zeigte auf mich, und wir gingen
auf ihn zu. Jetzt erkannte ich, daß seine Augen stumpf und ausgebrannt wirkten.
Ich konnte ihn auch riechen. Der Körpergeruch, der wellenartig von ihm
ausströmte, war in der heißen, unbewegten Luft förmlich zu

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